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Perspektivwechsel im Zollchaos: Ein strategischer Zwischenruf zur Transformation
Wieder einmal rüttelt Donald Trump an den Fundamenten des Welthandels. Anfang April 2025 verkündete der US-Präsident ein neues Maßnahmenpaket von Importzöllen gegen nahezu alle Länder der Welt. Besonders brisant: Für Einfuhren aus der EU gilt nun ein pauschaler Zollsatz von 20 %. Dieser drastische Schritt trifft auch deutsche Schlüsselindustrien wie die Automobilbranche ins Mark. Doch jenseits der ersten Schockwelle stellt sich die Frage, welche strategischen Lehren Unternehmen aus dieser Zolloffensive ziehen können.
In diesem Beitrag soll ein Perspektivwechsel stattfinden – weg von der tagesaktuellen Empörung, hin zu langfristigen Handlungsimpulsen. Trumps Zollpolitik wirkt wie ein unerwarteter Stresstest für global agierende Firmen. Sie legt Schwachstellen in den Wertschöpfungsketten offen, zwingt zum Überdenken liebgewonnener Fünf-Jahres-Pläne und erhöht den Druck, die eigene Organisation agiler aufzustellen. Es geht also um mehr als Handelspolitik: Es geht darum, Widerstandskraft aufzubauen, indem man globale Fragmentierung anerkennt, Planungsparadigmen anpasst und Wandel proaktiv gestaltet. Ein solcher strategischer Kompass kann Unternehmen helfen, in stürmischen Zeiten auf Kurs zu bleiben.
Komplexe Wertschöpfungsketten bremsen die Verlagerung
Trump verfolgt mit den neuen Zöllen erklärtermaßen ein Ziel: Produktionsstätten zurück in die USA zu holen. Importgüter werden mit Abgaben belegt, während in den USA gefertigte Waren zollfrei bleiben. Die Realität der globalen Lieferketten erschwert jedoch diesen Plan. Besonders in der Automobilindustrie mit ihren enorm verzweigten Wertschöpfungsnetzen ist eine vollständige Verlagerung der Fertigung in ein Land kaum realisierbar.
Ein modernes Fahrzeug besteht aus zigtausenden Teilen, die von Zulieferern rund um den Globus produziert werden. Keine Fabrik lässt sich isoliert betrachten: Sie ist eingebettet in ein internationales Netzwerk von Vorproduktionen. Kurzfristig ist es deshalb illusorisch, dass Unternehmen ihre komplette Produktion in die Vereinigten Staaten verlagern. Vielmehr müssten sie ein ganzes Ökosystem an Zulieferbetrieben mitverlagern – eine Aufgabe, die weder zeitnah noch effizient zu bewältigen ist.
Zwar könnten höhere Zölle in Einzelfällen zu einer gewissen Regionalisierung führen. Doch die enorme Komplexität der automobilen Wertschöpfungskette setzt der Idee rigider Produktionsumlagerungen enge Grenzen. Unternehmen werden vielmehr versuchen, die Mehrkosten durch Zölle anderweitig abzufedern, sei es durch Preisanpassungen, Effizienzsteigerungen oder das Umleiten von Lieferströmen.
Die politische Unsicherheit in den USA stellt ein weiteres strategisches Risiko dar: Wer heute Investitionen in Milliardenhöhe in neue US-Fertigungen tätigt, kann morgen durch einen Regierungswechsel oder neue Regulierungsmaßnahmen erneut überrascht werden. Das macht jede Investitionsentscheidung zum Drahtseilakt – zwischen Anpassungsdruck und Vorsicht.
Fünf-Jahres-Pläne auf dem Prüfstand – auch für Kreditgeber
Die aktuelle Situation offenbart auch die Grenzen traditioneller Planungszyklen. Viele Konzerne – und ebenso ihre Kreditgeber – arbeiten mit Fünf-Jahres-Plänen, die von relativ stabilen Rahmenbedingungen ausgehen. Eine plötzliche Kehrtwende in der Handelspolitik sprengt so manche Umsatz- und Rentabilitätsprognose. Wenn ein Unternehmen noch vor kurzem von konstanten Zöllen oder freiem Handel ausging, dann müssen seine strategischen Pläne nun radikal überarbeitet werden.
Insbesondere Banken und Kreditinstitute stehen vor einem Paradigmenwechsel. Bisher erwarten sie verlässliche Geschäftspläne, bevor Kredite fließen. Doch starre Erwartungshaltungen laufen ins Leere, wenn externe Schocks die schönste Planung zur Makulatur werden lassen. Die Finanzierer müssen umdenken: Flexibilität und ein Auge für unterschiedliche Szenarien gewinnen an Bedeutung. In volatilen Zeiten zählen agile Forecasts mehr als das Festhalten an einmal beschlossenen Fahrplänen.
Alternative Standorte und regionale Diversifizierung
Anstatt sich einseitig auf die USA auszurichten, lohnt der Blick auf Alternativen. Naheliegend ist die Nutzung des nordamerikanischen Binnenmarkts: Mexiko und Kanada bieten durch das USMCA-Abkommen Zollvorteile, sofern bestimmte lokale Wertschöpfungsanteile erfüllt werden. Deutsche Hersteller sind dort bereits aktiv und können auf gewachsene Strukturen zurückgreifen.
Langfristig entscheidend ist jedoch die globale Diversifizierung. Südostasien rückt ins Blickfeld: dynamische Märkte, neue Freihandelsabkommen und Kostenvorteile können dazu beitragen, strategische Abhängigkeiten zu reduzieren. Auch wenn diese Standorte Zölle in die USA nicht umgehen, schaffen sie neue Absatzmärkte und reduzieren das Klumpenrisiko.
Agil durch duale Organisationsformen
Der Leadership-Experte John P. Kotter betont in seinem Buch Accelerate, dass Unternehmen Wandel aktiv gestalten müssen, statt ihn nur zu verwalten. Er fordert eine duale Struktur: Neben der klassischen Hierarchie, die das Tagesgeschäft absichert, braucht es ein agiles Netzwerk aus engagierten Mitarbeitern, das strategische Innovationen vorantreibt.
Diese zweite Struktur ermöglicht es, schneller auf Marktentwicklungen zu reagieren, Parallelprojekte voranzutreiben und bereichsübergreifend zu lernen. In der aktuellen Lage kann dies der entscheidende Unterschied sein zwischen Getriebenwerden und Gestalten.
Kotter identifiziert drei zentrale Prinzipien: (1) Innovationsdruck als Realität akzeptieren, (2) Veränderung über bereichsübergreifende Netzwerke treiben – und (3) eine Unternehmenskultur etablieren, in der Führung auf allen Ebenen stattfindet. Führung bedeutet dann nicht mehr nur Kontrolle, sondern die Fähigkeit, Zukunft zu antizipieren und umzusetzen. Diese Denkweise rückt angesichts globaler Brüche und zunehmender Unsicherheiten ins Zentrum strategischer Unternehmensführung.
Interim Management als systemischer Hebel
Die Parallelität von Transformation und Tagesgeschäft überfordert immer häufiger klassische Managementteams. In solchen Situationen kann Interim Management ein strategischer Hebel sein: Führung auf Zeit, fokussiert auf kritische Aufgaben. Interim Manager bringen nicht nur Fachwissen mit, sondern auch den externen Blick und die Unabhängigkeit, Entscheidungen mit Klarheit und Tempo voranzutreiben. Gerade wenn Organisationen an ihrer operativen Belastungsgrenze agieren, wird dies zum entscheidenden Faktor.
Interim Management ist dabei nicht als Konkurrenz zur Stammorganisation zu verstehen, sondern als temporäre Verstärkung: punktgenau, pragmatisch und mit klarem Umsetzungsfokus. Die gezielte Integration solcher Expertise kann helfen, Transformationsvorhaben zu beschleunigen, ohne das Tagesgeschäft zu gefährden – und bietet einen erprobten Weg, strategische Beweglichkeit kurzfristig herzustellen.
Ein strategischer Kompass für Unternehmensentscheider
Die aktuellen Entwicklungen zeigen: Unternehmen benötigen einen strategischen Kompass. Dieser sollte vier Himmelsrichtungen umfassen:
Nord – Resilienz: Globale Lieferketten müssen widerstandsfähiger werden. Redundanzen, Backup-Lieferanten und Szenarienmanagement schaffen Stabilität.
Ost – Chancen: Wachstumsmärkte in Asien und südlichen Hemisphären bieten neue Absatzpotenziale.
Süd – Lokalisierung: Regionalisierung mit Augenmaß statt blinder Produktionsverlagerung. NAFTA-Raum als taktische Option.
West – Dialog: Politische Kommunikation, Allianzen und branchenübergreifende Strategien gegen Isolation.
Fazit
Trumps Zölle sind ein Weckruf. Sie zeigen, wie verletzlich global verzahnte Branchen geworden sind. Doch sie sind auch eine Chance, alte Denkmuster zu hinterfragen. Wer jetzt die eigene Planung flexibilisiert, Organisationen agiler aufstellt und neue Wege zur Widerstandskraft beschreitet, kann aus dem Krisensignal einen strategischen Vorsprung machen.
Ulf Camehn
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