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Automobilhandel: Von Rekordjahren zu StaRUG?
Der Automobilhandel erlebte in den letzten Jahren einen beispiellosen Aufschwung mit stetig steigenden Umsätzen und beeindruckenden Gewinnen. Im Jahr 2022 erwirtschaftete die Branche mit 3,3 % Umsatzrendite im Mittel mehr als doppelt so viel wie in der Vor-Krisen-Zeit.
Das Dilemma des scheinbaren Erfolgs
Der trügerische Erfolg der letzten Jahre hat viele Unternehmen in die gefährliche Illusion gelockt, dass sie alles richtig machen. Doch die Jahresüberschüsse von 2021 - 2023 sind nicht vordergründig das Ergebnis herausragender Managementleistung, sondern vielmehr ein Produkt externer Umstände.
Allerdings erschweren gute Zahlen ein realistisches Selbstbild. Konträr stehen sich auch die Schwierigkeit der Krisenerkennung und der Handlungsdruck gegenüber: Je besser es dem Unternehmen geht, desto schwieriger gestaltet sich die Krisenerkennung. Und je schlechter es dem Unternehmen geht, desto höher wird der Handlungsdruck.
Das Erkennen von Frühwarnsignalen und das sofortige Ergreifen von Maßnahmen ist DER Schlüssel zum Erfolg. Auf dem Höhepunkt des Erfolges können Unternehmen sukzessive schrumpfen (Work out), wiederbelebt werden (Turnaround) oder sogar zu größerem Erfolg gebracht werden (Transformation).
Spätestens in der Liquiditätskrise nimmt aber die Fähigkeit zum Turnaround ab, weil entsprechende Berater, Interim Manager, etwaige Sanierungsgutachten und Mitarbeiterfreisetzungen schnell höhere sechsstellige Summe verbrauchen. Der Handlungsspielraum für das Management wird also immer geringer, je stärker sich das Unternehmen in Richtung Insolvenz bewegt.
Unternehmen sind daher gut beraten, sich spätestens auf dem vermeintlichen Höhepunkt zu hinterfragen, um entsprechende Maßnahmen aus einer Position der Stärke heraus in Angriff zu nehmen.
Moratorium kaum genutzt
Für den Automobilhandel ist es spätestens jetzt an der Zeit, trotz guter Zahlen und gefüllter Kassen die unbequeme Wahrheit zu akzeptieren: Auf Sicht der nächsten drei bis fünf Jahre geht es insbesondere für kleine und mittelgroße Händler primär nicht um Wachstum, sondern darum, dass das eigene Unternehmen am Ende des Transformationsprozesses noch existiert.
Selbst die Corona-Krise hat viele Unternehmen nicht oder nur homöopathisch ins Handeln kommen lassen. Dies ist schwer nachzuvollziehen, zumal die Insolvenzantragspflicht für zahlungsunfähige Unternehmen nach § 17 InsO wieder aufgelebt ist. Das Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVInsAG) war im März 2020 in Kraft getreten. Die Aussetzung sollte für die Unternehmen greifen, die nach dem 1. März 2020 aufgrund der Folgen der Corona-Pandemie in Schwierigkeiten gerieten, aber bei denen die Aussicht bestand, die bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Auch Haftungsrisiken für Organe und Anfechtungsrisiken für Gläubiger sollten durch das in kurzer Zeit auf den Weg gebrachte Gesetz gemindert werden. Das Gesetz war dabei als "Moratorium" gedacht, in dem die Unternehmen ihre Restrukturierungs- bzw. Sanierungsbemühungen mit Nachdruck forcieren sollten.
Die Jahre 2021 - 2023 sind nach meiner Überzeugung zwingend auszuklammern. Die Händler befinden sich mit absoluter Sicherheit im letzten Ausnahme-Geschäftsjahr seit Bestehen des Automobilhandels, der im Jahr 2023 nach wie vor hohe Auftragsbestände der Vergangenheit abarbeitet.
Die neue Realität
Bereits vor fast einem Jahr habe ich in meinem Blog-Beitrag „Turnaround-Projekte: Top 10 für den Erfolg" auf die aufkommenden Herausforderungen hingewiesen, die sich im Automobilhandel mittlerweile wie folgt darstellen:
- Höhere Zinsen mit der Folge teurerer Refinanzierungen und teilweise absurd hohen Leasing- und Finanzierungsraten sind mittlerweile wieder Realität
- Steigende Personalkosten, befeuert durch Inflation, Arbeitnehmermarkt und immer mehr zu bewältigende Aufgaben (z. B. ESG)
- Reduzierte Fördersätze für die E-Mobilität bei anhaltend hohen Investitionen der Händler- und Vertreterschaft (Ladeinfrastruktur, Aus- und Weiterbildung etc.)
- Die Fahrzeugpreise für Neuwagen steigen teilweise schneller als die Inflation (lt. ADAC in der Zeit von 2017 - 2023 z. B. bei Kleinstwagen + 55 % und unterer Mittelklasse + 31 %)
- Wenige bis keine Vertriebsimpulse durch die Hersteller
- Permanent neue Marktteilnehmer in einem stagnierenden Markt
Aus meiner Sicht ist es daher elementar wichtig, dass man als Unternehmer die letzten Jahre als Sondereffekt verbucht.
Als Moratorium wie beschrieben oder zum Eigenkapitalaufbau für die kommenden Herausforderungen. Die neue Realität erfordert zudem eine Besinnung auf das Wesentliche und die Bereitschaft, Unterlassenes anzugehen, Fehlentscheidungen zu korrigieren und über alles das Wort „Konsequenz" zu schreiben.
Restriktive und expansive Restrukturierung
Jede Restrukturierung und auch jedes Geschäftsmodell Re-Design enthält expansive wie restriktive Elemente. Da es einfacher ist, die Kosten zu senken als die Umsätze zu steigern, ist Kostensenkung Pflicht und Topline-Management die Kür. Im Idealfall passiert beides gleichzeitig.
Insbesondere Automobilhandelsgruppen haben versucht, dem Druck zur Veränderung des Geschäftsmodells damit Rechnung zu tragen, indem sie in verschiedenste Geschäftsfelderweiterungen investierten.
Vor diesem Hintergrund ist es richtig und nachvollziehbar, dass die Unternehmen versuchen, ihr Portfolio mit neuen Marken zu erweitern. Schließlich weiß man nicht, ob die europäischen Hersteller ihren Marktanteilsvorsprung aus der Verbrenner-Zeit in der Zukunft werden verteidigen können.
Zumal jedes Zusatzgeschäft – insbesondere ohne besondere CI-Vorgaben und abzüglich einer Verkäuferprovision – zusätzlichen Deckungsbeitrag verspricht.
Aber: Mittlerweile sollte die Erkenntnis gereift sein, dass hausinterne Start-Ups wie E-Bikes, Vespa oder Ducati nicht im Ansatz die Deckungsbeiträge kompensieren werden, die im originären Hauptgeschäftsfeld perspektivisch verloren gehen könnten. Entsprechend sollte man nicht zu lange an defizitären Experimenten und sonstigen Sonderlocken festhalten, zumal man seine begrenzten Managementkapazitäten auch in die Verbesserung der vielerorts immer noch zu verbessernden Kernprozesse einbringen könnte (Geschäftsfeldaufgabe als Recruiting-Instrument) bzw. den Mittelabfluss einfach stoppt.
Strukturiert angegangen müsste man versuchen, die grobe Entwicklung der kommenden 10 Jahre unter bestimmten Prämissen vorauszudenken. Zum Beispiel aufgrund der vielerorts kundgetanen Prognose, dass sich der After Sales-Umsatz in Folge der E-Mobilität bis 2030 um fünfzig Prozent reduzieren könnte. Dieses Delta hat in der Szenario-Rechnung Auswirkungen auf das Demografie-Management des Personalwesens, die Organisationsstruktur mit ihren Führungsebenen, auf die Anzahl der Standorte und ihre Nutzung, auf angebotene Dienstleistungen u. v. m.
Entsprechend sollte man seine Kompensations-Aktivitäten an dem Szenario ausrichten, welches man selbst für das realistischste hält. Also auf Geschäftsfelderweiterungen oder zusätzliche Marken zu setzen, deren voraussichtliches Auslieferungsvolumen eine hohe Wahrscheinlichkeit aufweist, die strategische Lücke im Umsatz und Ertrag zu kompensieren. Die Herausforderung besteht darin, dies über alle betroffenen Bereiche abzubilden und parallel auf Sicht zu fahren, um auf Basis einer agilen Organisation den Kurs jederzeit korrigieren zu können – z. B. in Folge politischer Richtungsänderungen oder einem veränderten Verhalten der Hersteller und Importeure.
Bald wieder im Fokus: Pflicht zur Erhaltung des Stammkapitals
Die sich abzeichnenden Herausforderungen werden schon bald ihre Spuren in den Jahresabschlüssen hinterlassen. Man ist gut beraten, sich als Geschäftsführer oder Vorstand wieder die originären Pflichten vor Augen zu führen und ein Grundwissen hinsichtlich Krisenvorsorge und Enthaftung anzueignen.
Nach meiner Einschätzung werden wir im Automobilhandel spätestens 2026 wieder verstärkt über Sanierung und IDW S6-Gutachten sprechen. Schon heute sind für manche Kreditinstitute die Umsatzrenditen der letzten zwei Jahre das neue Normal. Mit der Folge, dass die Fragen in Zukunft schneller unangenehm werden. Wer glaubt, sich die Herstellerbank mit 1,5 % Umsatzrendite auf Abstand halten zu können, dürfte bald eines Besseren belehrt werden.
Die Verpflichtung der Geschäftsführung zur Kapitalerhaltung nach § 30 GmbHG wird schon bald eine höhere Praxisrelevanz erfahren. Meine Prognose: Sogar akuter als im Vorfeld der beschriebenen Ausnahmejahre.
Entsprechend setzt das StaRUG noch einen drauf, bietet aber auch neue Möglichkeiten.
Ich möchte das im Kontext dieses Beitrages ins Gedächtnis rufen, weil es für viele seinerzeit unbemerkt in Kraft trat.
StaRUG: Anforderungen und neue Möglichkeiten
Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetz – StaRUG) trat am 01.01.2021 in Kraft. Es schlägt seither die Brücke zwischen der außergerichtlichen Sanierung und dem Insolvenzverfahren (Eigenverwaltung/Schutzschirm und Regelinsolvenz) und ist somit ein gerichtliches Restrukturierungsverfahren für Unternehmen, die in ihrer Zahlungsfähigkeit bedroht sind.
Es bietet Unternehmen in der Krise erstmals den Rahmen, sich frühzeitig ohne Stellung eines Insolvenzantrages bilanziell zu sanieren!
Verschärfung der Organpflichten
- Explizit hervorgehoben wird in „§ 1 Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement bei haftungsbeschränkten Unternehmensträgern", dass die zur Geschäftsführung berufenen Organe den Überwachungsorganen unverzüglich Bericht zu erstatten haben
- Weiter heißt es, dass sofern die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeiten anderer Organe berühren, die Geschäftsleiter unverzüglich auf deren Befassung hinwirken müssen
Das ist grundsätzlich nichts Neues, da diese Verpflichtung schon immer bestand und Geschäftsleiter dazu fortlaufend verpflichtet sind. Das StaRUG unterstreicht diesen Umstand.
Zentrale Elemente:
Das StaRUG besteht aus vier Bestandteilen:
- Teil 1: Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement
- Teil 2: Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen
- Teil 3: Sanierungsmoderation
- Teil 4: Frühwarnsystem
- Früherkennung bestandsgefährdender Unternehmensrisiken und Sicherung des Unternehmensfortbestandes
- Es darf noch keine Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO vorliegen
- Es muss aber mindestens die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO vorliegen
- Rechtzeitige bilanzielle Sanierung ohne Stellung eines Insolvenzantrages
- Förderung der vorinsolvenzlichen Sanierungskultur bei drohender, noch nicht eingetretener Zahlungsunfähigkeit
- Direkte Abstimmung mit den betroffenen Gläubigern möglich (inkl. einer möglichen Beschränkung auf einzelne Gläubigergruppen)
- Instrument für die bilanzielle Restrukturierung, die ansonsten am Widerstand sogenannter „Akkord-Störer" scheitern würde
- Die Publizität beschränkt sich im Grundsatz auf den Kreis der Beteiligten, so dass eine Veröffentlichung des Verfahrens nicht stattfindet (selbst im Falle einer Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim zuständigen Gericht, beschränkt sich die Bekanntmachung auf die am Verfahren beteiligten Gläubiger)
- Solange die konsensuale Restrukturierung anhält, bleibt es ein sogenanntes schuldnerautonomes Verfahren
- Relativ niedrige Hürde zur Abstimmung des Restrukturierungsplans (Herzstück des StaRUG)
- Verhältnismäßig schnell und nicht so kostenintensiv wie das klassische Insolvenzverfahren
- Es geht nur um die finanzwirtschaftliche Seite, nicht um die leistungswirtschaftliche
- Eingeschränkte Möglichkeiten im Vergleich zum Insolvenzverfahren, dass mit erheblichen Sonderrechten ausgestattet ist (z. B. sind Forderungen von Arbeitnehmern aus ihrem Arbeitsverhältnis nach § 4 des StaRUGvon der Restrukturierung ausgenommen; ebenso fehlt die Möglichkeit Dauerschuldverhältnisse mittels Sonderregelung zu beenden)
- Dennoch hoch komplex und somit beratungs- und kostenintensiv
Must have: Integrierte Planungsrechnung über 24 Monate
Für die Bestimmung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO wird in der Regel ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde gelegt. Auf diesen Horizont sollte die integrierte Planung aus GuV-, Bilanz- und Liquiditätsplanung daher unbedingt abgestellt werden. Abzubilden ist eine solche integrierte Planungsrechnung z. B. mit jedox, LucaNet oder CCH Tagetik.
Im Kontext StaRUG und Organhaftung sind unbedingt die Planungsprämissen nachzuweisen. Planungen und Prognosen sind im Ernstfall ohne Dokumentation wertlos. Zahlungsein- und -ausgänge sind grundsätzlich realistisch zu planen (inkl. von z. B. drohenden Zahlungen aus Rechtsstreitigkeiten). Entsprechend führen in einer integrierten Finanzplanung unrealistische Planungsvorgaben der Geschäftsführung zu einem völlig falschen Bild. Man torpediert damit den eigentlichen Zweck der integrierten Finanz- und Liquiditätsplanung – einhergehend mit Auswirkungen auf die Organhaftung.
Die Königsdisziplin: Rollierende Liquiditätsvorschau in Echtzeit
Ein exzellentes Tool – speziell zur rollierenden Liquiditätsvorschau unter der Einbindung von Echtzeit-Daten – ist z. B. AGICAP, mit dem ich mich im Rahmen eines Interim Mandates intensiv auseinandergesetzt habe.
Wichtig an der Stelle ist die Einsicht und das Verständnis, die Aufgabenstellung mit der entsprechenden Personalausstattung zu hinterlegen. Abseits der Einführung lebt die Qualität der Prognose von der Qualität des Inputs, der Weiterentwicklung und der permanenten Erhöhung des Reifegrades innerhalb der Anwendung.
Zumindest in größeren Automobilhandelsgruppen wird man daher um den Einsatz eines Treasury Controllers/ Accountants nicht herumkommen, sofern man über die reguläre integrierte Finanzplanung hinaus das Thema der rollierenden Liquiditätsvorschau substanziell spielen will.
Eine gute und wichtige Investition, die unmittelbar auf belastbare Entscheidungsgrundlagen, den Erhalt der Unternehmung und auf das Thema Organpflichten einzahlt.
Ulf Camehn
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