UNITEDINTERIM Blog

Case-Studies und Blogbeiträge von professionellen Interim Managern und Interim Managerinnen

Software: Restrukturierung eines Desaster-Projekts im ÖPNV

Branche: Infomationstechnologie (Software für den öffentlicher Personenverkehr)

Linienfunktion: IT (Leiter Professional Services)

Thema: Restrukturierung, Turnaround, Kanban, Scrum

Umsatz: 10 Mio. Euro

Mitarbeiter: 120

Aufgabe:

Ein wichtiger Manager, der für das Hauptprodukt eines Softwarehauses verantwortlich war, hatte sein Arbeitsverhältnis gekündigt. Dieser Schritt kam unerwartet, dabei stand die mit hohen Erwartungen verbundene neue Version der Flaggschiff-Software kurz vor der Auslieferung.

An subtilen Vorwarnungen hatte es nicht gefehlt. Mehrere interne und externe Indikatoren deuteten auf Risiken bei Technologie, Funktionalität und Marktreife dieses von der Kundenbasis sehnlichst erwarteten Produkts der nächsten Generation hin. Den Warnsignalen war von Seiten des Top-Managements offenbar nicht die erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt worden.

Jetzt bestand dringender Handlungsbedarf, damit die Auslieferung noch plangemäß durchgeführt werden konnte. Andererseits war die Besetzung der vakanten Position in einem kleinen und hochtransparenten Markt ein sensibler Akt, der mit der notwendigen Sorgfalt, Vorsicht und ohne erkennbare Eile durchgeführt werden musste.

Dafür wurde ein erfahrener Interim Manager benötigt, der schnell die Zügel in die Hand nehmen und das Geschäft weiterführen konnte. Während die Arbeiten nach Plan weitergeführt würden, sollte er seinen Nachfolger finden, auswählen und einarbeiten.

Lösung

Bereits im Vorfeld war eine dreistufige Herangehensweise vereinbart worden:
  1. Diagnose – Über einen Zeitraum von 6 Wochen nahm der spätere Interim Manager eine Beobachterrolle ein, nahm an allen wesentlichen Veranstaltungen teil, führte Interviews und studierte einschlägige Unterlagen.
  2. Sofortmaßnahmen – Nach einem Ansatz, der sich eingängig als CCC (Cash, Cost & Customers) abkürzt, musste zunächst das erforderliche Budget gesichert, erkennbares Kostensenkungspotential genutzt und der verunsicherten Kundenbasis neue Zuversicht vermittelt werden. Anschließend wurde der Blick nach innen, auf die eigentlichen Ursachen gerichtet, die schließlich zu dieser schwierigen Situation geführt hatten.
  3. RevitalisierungAgilisierung, Metrik, Qualitätsmanagement, Organisationskultur und Resilienz waren die Überschriften zu den mittel- bis langfristigen Maßnahmen, die die folgenden zwei Jahre prägen sollten.

Diagnose

Um den Problembereich einzugrenzen, bestehende Schwachstellen zu identifizieren und zu bewerten und schließlich das Ausmaß der zu treffenden Maßnahmen abschätzen zu können, wurden folgende analytische Schritte eingeleitet:

  • Architektur- und Entwurfsvalidierung mit einem ausgewählten Messwerkzeug eines Drittanbieters.
  • Anwendung eines Standardfehlermodells, insbesondere zur Ermittlung der zu erwartende Menge noch unentdeckter Fehler.
  • Verwaltung, Neuklassifizierung und Priorisierung der Mängel in einer Mängeldatenbank nach Kundenfeedback plus Expertenurteil.

Schnell wurde klar, dass in der besten Absicht, ein funktional besonders leistungsfähiges Produkt auf den Markt zu bringen, ein mit vielen technischen Schulden beladenes Codemonster geschaffen worden war. Dessen Grenzen der Wartbarkeit wurden jetzt deutlich. Gleichzeitig aber stand die nächste Version zur Auslieferung an. In der Zwischenzeit warteten bestehende Kunden ungeduldig darauf, dass eine längere Liste bekannter Fehler behoben würde.

Das unter den Mitarbeitern bereits latent vorhandene Gefühl, das Verfahren nicht mehr im Griff zu haben, wurde durch die quantitativen Feststellungen für alle zur Gewissheit. In ihrer Not griffen sie zu wechselseitigen Schuldzuweisungen. Das Betriebsklima litt erheblich darunter.

Dass die Phase des Interim Managements keine reine Überbrückung einer personellen Vakanz würde, war damit klar geworden. Der Interim Manager musste mithin eine überzeugende Turnaround-Strategie liefern. Auch musste er über das Charisma verfügen, Team und Management für eine erwartungsgemäß unbequeme Reise an Bord zu holen.

Sofortmaßnahmen:

Und hier, bei den Entwicklerteams, setzten wir auch den Ansatzpunkt. In einem All-hands-Meeting wurde der Belegschaft die kritische Situation zu ersten Mal offiziell präsentiert. Nachdem die Emotionen zunächst hohe Wellen schlugen, war am Ende allen Beteiligten klargeworden, dass das Ziel eines wirksamen Turnarounds nur gemeinsam zu erreichen war.

Das ausgegebene Grundprinzip „Qualität vor Termin" wurde letztlich mit Erleichterung aufgenommen, die Auslieferung der neuen Version gestoppt, bis eine ausreichende Systemstabilität erreicht würde.

Da fehlende oder dysfunktionale inter-Team Kommunikation als wesentliches Hemmnis erkannt worden war, versammelten sich ab sofort alle Entwickler täglich zu Arbeitsbeginn vor dem Kanban-Bord, um Test und Fehlerbehebung zu koordinieren.

Umfassende Kommunikation war auch der Schlüsselfaktor, um die ungeduldigen Kunden für die neue Strategie "keine falschen Versprechungen mehr" zu gewinnen – und im Gegenzug ihre Zustimmung für die einmalig verlängerte Lieferfrist zu erhalten.

Das in der Entwicklung befindliche Produkt war funktional durchaus attraktiv, versprach viele von den Verkehrsunternehmen langgehegte Wünsche zu erfüllen und war durch sein belegorientiertes Ablaufkonzept der Liebling der externen Auditoren. Das uns notgedrungen entgegengebrachte Verständnis war aber nur ein Vorschuss auf ein Vertrauen, dass wir uns erst wieder erarbeiten mussten.

Auch, wenn der „Kunde König" ist, galt es als nächstes, den im Beitrat vertretenen Gesellschaftern „reinen Wein" einzuschenken, und sie für das neue Vorgehen zu gewinnen. Sie akzeptieren den Notfallaktionsplan schließlich – auch mangels realistischer Alternativen.

Die volle Konzentration auf das "Quality First Paradigma" in allen Phasen der Software-Entwicklung, ergänzt um die Betonung eines "Clean Code"-Ansatzes und der stichprobenartigen Prüfung seiner Einhaltung durch neu ernannte „Quality-Tigers" und die praktische Einführung agiler ManagementmethodenScrum für Implementierungsprojekte, Kanban für Wartungsaktivitäten – rundeten die erforderlichen Sofortmaßnamen ab.

Revitalisierung

Auch wenn der Sprint zur anstehenden Auslieferung der „Next-Generation Software" erste Erfolge zeitigte, war doch deutlich geworden, dass wir für den vor uns liegenden Marathon noch nicht ausreichend aufgestellt waren. Der sich wandelnde Markt mit neuen vitalen Wettbewerbern, neuen Anforderungen und einer höheren Preissensitivität der Kundengruppen verlangte nach Steigerung der Produktivität und gleichzeitig höherer Kosteneffizienz.

Angesichts der gestiegenen Anforderungen einerseits und dem bedrückend hohen Bestand an technischen Schulden wurde als mittelfristige Maßnahme die Prüfung der Auslagerung von besonders aufwändigen Tätigkeiten per „Nearshoring" in ein Land mit niedrigeren Kosten angegangen.

Um Tätigkeiten vergeben zu können mussten System-Dokumentation und Schulungsmaterial zunächst auf einen aktuellen Stand gebracht und in die englische Sprache übertragen werden. In der Anwendung agiler Entwicklung Methoden waren die in Betracht kommenden Nearshoring-Teams uns oft weit voraus. Es musste also umgehend ein Trainingsprogramm für die internen Mitarbeiter aufgesetzt werden.

Die aufwändige Transformation der gesamten Entwicklung, dem Herzstück des Unternehmens, musste entsprechend durch ehrgeizige Wachstumsziele auf einem glücklicherweise noch nicht gesättigten Markt gerechtfertigt werden.

Das bedeutete unter anderem die Unterstützung verschiedener nationaler Architekturstandards für den öffentlichen Personenverkehr (ÖPV). Nach Innen mussten Produkt- und Projektgeschäft separiert und professionalisiert werden.

Die schonungslos dargestellte realistische Investitionsprognose als wesentlicher Teil eines langfristigen Geschäftsplans sorgte bei den Gesellschaftern zunächst für Stirnrunzeln, wurde aber schließlich akzeptiert.

Teil dessen war unter anderem eine vorgeschlagene neue Führungsstruktur für den Bereich "Professional Services", die Einstellung eines Produktmanagers und eines Service-Delivery-Managers und schließlich die Übergabe an das neue Management.

Ergebnis

Einerseits trug die neue Transparenz dazu bei, der Geschäftsführung und dem Verwaltungsrat die Augen für den Ernst der Lage und die Höhe der im Laufe der Jahre angehäuften "technischen Schulden" zu öffnen.

Auf der anderen Seite entwickelte das Revitalisierungsprogramm eine starke Überzeugungskraft. Die vorgestellte Vision wurde durch solide numerische Berechnungen gestützt. Der vorgestellt Business Plan wies zwar hohe Investitionen zur Tilgung der über die vergangenen Jahre angehäuften technischen Schulden aus. Insgesamt versprach der Business Plan jedoch einen positiven Cashflow nach rund zwei Jahren.

In der Zwischenzeit zeigten die Ad-hoc-Aktivitäten erste positive Ergebnisse und stärkten das Vertrauen in die Durchführbarkeit dieses Projekts. Mit neuer Hoffnung und den ersten positiven Signalen des Marktes verlieh die Übergabe an das neue Management dem Unternehmen neuen Schwung und wurde allgemein als Neuanfang wahrgenommen.

Dr. Horst Walther
PROFIL BEI UNITEDINTERIM

SiG Software Integration GmbH
Große Bleichen 1-3
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Donnerstag, 09. Januar 2025

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