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Geist im Korsett - Kreativität in hochregulierten Märkten
Ubiquitäre Veränderung zwingt uns zur Kreativität
Lassen Sie mich mit zwei Banalitäten beginnen.
Banalität 1: Die Veränderung ist allgegenwärtig, Kunden sowie deren Anforderungen – und damit der Markt – verändern sich ständig. Um auf diesen Veränderungsdruck reagieren zu können, brauchen wir neue Ideen, Kreativität und Menschen in Organisationen, die diese Ideen entwickeln und nach vorne bringen.
Banalität 2: Pharma und MedTec, Banken und Versicherungen sind Marktteilnehmer in hochregulierten Märkten. Die Einhaltung von teilweise hochkomplexen Compliance-Regularien sind alltägliches Brot, welches es unhinterfragt zu verspeisen gilt. Das mag dem einen oder anderen Marktteilnehmer ein Dorn im Auge sein. Jedoch ist zu bedenken, dass wir alle uns einen "sauberen" Markt wünschen. Wir wollen mit dem guten Gefühl nach Hause gehen können, dass dieses oder jenes Finanzprodukt legal und wertstabil ist, so wie wir auch mit gutem Gewissen zum Arzt oder Apotheker gehen wollen, ohne Gefahr laufen zu müssen, dass das Medikament oder die Therapie nicht lege artis [Anm. Red.: lat., "nach allen Regeln der Kunst"] verordnet wurde.
Regeln haben ihren Sinn
Compliance und Regeltreue sind uns im Gesundheitswesen selbstverständlich – und dies aus gutem Grund: Der Bürger verlangt von uns als Marktteilnehmern, dass unsere Medikamente sauber erforscht und produziert wurden, dass ordentliche Studienprotokolle eine evidenzbasierte Medizin ermöglichen und dass der Arzt und Apotheker diese nur verordnet, so es medizinisch indiziert ist. Wir, die wir uns um das gesundheitliche Wohl des Bürgers bemühen, sind umgeben von Regelwerken, die uns leiten, die uns Ägide sind – die uns aber auch in unserem Tun tagtäglich einengen.
Wie soll ein kreativer Mensch in diesem Regelkorsett atmen, wie soll Geist hier schweben oder gar fliegen, wo ihn doch allgegenwärtig Regeln umgeben? "Tue dies nicht!", "Tue das auch nicht!", "Nein, das darfst Du erst recht nicht tun, denke nicht einmal daran!". In solchen Systemen können sich eigentlich nur Menschen wohlfühlen, die einen klar definierten Handlungsrahmen wertschätzen und die zweifelsohne nicht als Bilderstürmer einzustufen sind.
Regeln zwängen uns ein
Nun mag der vordergründige Duktus meiner Worte zum Gedanken führen, dass ich zur Revolution gegen Regeln und Compliance aufforderte. Dem ist nicht so und nichts läge mir ferner! Ubi societas, ibi ius [Anm. d. Red.: lat., "Wo es eine Gesellschaft gibt, gibt es ein Gesetz"]. Ohne Regeln kann keine Gesellschaft bestehen. Und dort, wo es darum geht, saubere und ordentliche Medizin zu betreiben, kann kein ernstzunehmender Mensch eine Abkehr von Complianceregeln und evidenzbasierter Medizin verlangen. Und dennoch gilt es zu konstatieren, dass wir – allzumal in Grossorganisationen – uns und unsere Kreativität abgewürgt, unseren Geist und all unsere Kreativität in ein finsteres Verlies gesperrt haben.
Wie nun damit umgehen?
Die Erfahrung all meiner Transformationsprojekte kulminiert in zwei Aussagen.
A) Wir brauchen Habitate [Anm. d. Red.: lat., "Lebensräume, Biotope"], in denen diejenigen, die kreativ sein sollen, nahezu regelbefreit agieren können.
B) Dort, wo wir diese Habitate nicht ausdrücklich installieren wollen, braucht es eine Vorgehensweise, wie wir das "Spielregel-Dickicht" ausforsten können.
Ad A) Dies wird weitestgehend bereits heute berücksichtigt. Wir wissen alle miteinander sehr gut, dass wir die "Verrückten", die "Nerds", sich frei in ihrem kreativen Drang entfalten lassen müssen. Und dennoch gilt es zu konstatieren, dass es auch hier Optimierungsmöglichkeiten gibt. Gibt es vielleicht die ein oder andere Durchführungsvorschrift, die Sie abschaffen könnten, die es womöglich so nicht wirklich wirklich unbedingt braucht? Können wir gegebenenfalls den Wissenschaftlern das Korsett des Zeiterfassungssystems abnehmen? Welche Massnahmen fallen Ihnen im Betrieb ein, die den menschlichen Geist einengen, ja, die diesen geradezu beleidigen? Geist will fliegen, nicht mit den Hühnern im Sand picken.
Ad B) Jetzt sind wir nicht in allen Teilen des Unternehmens von Wissenschaftlern umgeben, nicht überall muss es hochkreativ hergehen. Ganz im Gegenteil, manchmal muss es ganz eindeutig hochgradig regelkonform zugehen. Mir fallen hierzu ganz schnell Dinge wie die Buchhaltung oder die Durchführung von Studienprotokollen im Umfeld der Zulassung von Medikamenten ein. Hier wollen wir keine Kreativität! Und dennoch will ich Menschen, die sich Gedanken machen, die nicht nur einfach stumpf runterarbeiten. Wie lösen wir dieses Dilemma auf?
Die Rückbesinnung auf das Wesentliche
Mein ganz persönliches Rezept ist einfach in der Struktur und doch wuchtig in seiner Wirkung. Überprüfen Sie all Ihre Regeln, Durchführungsvorschriften und Arbeitsanweisungen, indem Sie sich zwei Fragen stellen.
Muss ich aufgrund des gesetzlichen Rahmens diese Spielregel, diese Vorschrift, dieses Gesetz, etc. einhalten?
Hat diese Spielregel, diese Vorschrift, dieses Gesetz, etc. eine Relevanz für den Kunden?
Und so Sie bei der konsequenten Anwendung dieser Fragen auf etwas stoßen, was a) nicht zwingend vom Gesetz vorgeschrieben ist und b) keine Relevanz für den Kunden hat, dann werfen Sie bitte diese Spielregel, diese Vorschrift oder Handlungsanweisung einfach weg – oder modifizieren Sie diese so lange, bis sie wieder einen Sinn ergibt – für Sie und Ihren Kunden.
Geist will fliegen und nicht in Ketten liegen. Unsere Aufgabe als Manager, unsere Chance als Interim Manager, ist es, nicht notwendige Regelketten und den sich daraus ableitenden Kreativ-Ballast abzustreifen. Machen wir uns an die Arbeit: Mensch und Organisation danken es uns!
Dr. Bodo R. V. Antonic - Spezialist für Umsatzwachstum in der Life-Science-Industrie
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