UNITEDINTERIM Blog

Case-Studies und Blogbeiträge von professionellen Interim Managern und Interim Managerinnen

KI-Projekte: Zwischen Überforderung, Hoffnung und Aktionismus

Wie Unternehmen von Struktur, Methodik und externem Knowhow profitieren können

1. Die Ausgangslage: Druck, Transformation und Unsicherheit

Die deutsche Wirtschaft steht am Beginn einer tektonischen Verschiebung. Während in den Jahren nach der Pandemie vielerorts kurzfristige Umsatzrekorde erzielt wurden, bröckelt inzwischen die Substanz. Der Margendruck steigt, der Verdrängungswettbewerb wird intensiver, die Regulatorik nimmt zu. Gleichzeitig verschärfen Fachkräftemangel und demografischer Wandel die Lage.

Vor diesem Hintergrund gilt Künstliche Intelligenz (KI) als Hoffnungsträger – fast schon als Heilsversprechen. Studien im Kontext des UNITEDINTERIM-Wirtschaftsreports 2025 zeigen: Über 90 % der Interim Manager gehen davon aus, dass KI in den kommenden Jahren so selbstverständlich werden wird wie heute das Internet. Sie wird in allen Branchen Wertschöpfung, Geschäftsmodelle und Wettbewerbslogiken spürbar verändern.

Doch: Der Einstieg in KI ist für viele Unternehmen schwieriger, als sie vermuten. Es fehlt an Knowhow, an Datenqualität, an Ressourcen und an einer strukturierten Herangehensweise. Das Ergebnis sind häufig Aktionismus und Insellösungen. Abteilungen experimentieren auf eigene Faust, bauen einzelne Tools auf, ohne diese in eine Gesamtstrategie einzubetten. Am Ende bleibt unklar, ob sich der Aufwand überhaupt rechnet.

2. KI ist nicht „klassische Digitalisierung"

Viele Unternehmen setzen KI fälschlicherweise mit klassischen Digitalisierungsprojekten gleich. Doch die Unterschiede sind fundamental:

  • Digitalisierung bedeutet, analoge Prozesse zu automatisieren oder in digitale Systeme zu übertragen (z. B. digitale Personalakten, vollintegrierte Personalmanagementsysteme, cloudbasierte ERP-Systeme, Rechnungsworkflow).
  • KI dagegen bedeutet, lernende Systeme zu entwickeln, die Muster erkennen, Prognosen ableiten und Entscheidungen unterstützen.

Die Konsequenzen für Unternehmen:

  1. Datenqualität und -verfügbarkeit sind entscheidend. Ohne strukturierte, vollständige und bereinigte Daten sind KI-Initiativen von vorneherein zum Scheitern verurteilt.
  2. Rechtliche Rahmenbedingungen wie die DSGVO und der EU AI Act schaffen zusätzliche Hürden (Hinweis: Der EU AI Act ist seit dem 1. August 2024 in Kraft, wird aber in mehreren Stufen umgesetzt – erste Bestimmungen gelten seit Februar 2025, weitere folgen ab August 2025, der vollständige Anwendungszeitraum reicht je nach Regelung bis 2027). Bias, Transparenz und Nachvollziehbarkeit sind rechtlich wie reputativ kritische Faktoren.
  3. Team-Kompetenz: KI-Projekte erfordern interdisziplinäre Teams – Data Scientists bzw. ein Mindestmaß an internem Knowhow als Schnittstelle zu KI-Dienstleistern, Fachexperten, Projektmanager und Change Manager. IT-Abteilungen allein können diese Aufgabe nicht stemmen.
  4. Veränderungsdynamik: Während IT-Systeme typischerweise einen stabilen Zielzustand anstreben, sind KI-Systeme iterativ. Sie müssen kontinuierlich überwacht, nachtrainiert und angepasst werden. Gerade mittelständische Familienunternehmen unterschätzen diesen Aspekt, weil sie von klassischen IT-Einführungen eher ein Ende als einen Dauerprozess gewohnt sind.

Kurz gesagt: KI ist nicht „Digitalisierung 2.0". Sie ist eine neue Dimension von Transformation – komplexer, dynamischer und mit höheren Risiken behaftet.

3. Warum so viele KI-Projekte scheitern

Die Zahlen sind ernüchternd: Eine Vielzahl unabhängiger Quellen (z. B. McKinsey, MIT) beziffern die Quote von KI-Projekten, die scheitern, auf etwa 60 - 80 % (teils noch höher).

Die Gründe sind vielfältig. Dennoch wiederholen sie sich:

  • Unklare Zielsetzungen: Viele Projekte starten aus Begeisterung für Technologie, ohne klar definierte Business Cases.
  • Fehlende Datenqualität: Daten liegen verstreut in Silos, sind unvollständig oder nicht aufbereitet.
  • Überforderung der Belegschaft: Mitarbeiter sollen Projekte „nebenbei" stemmen, obwohl das Tagesgeschäft bereits überlastet. Das gilt insbesondere für KMU und Familienunternehmen, in denen keine Projektorganisation neben dem Tagesgeschäft existiert (Struktur-Risiko).
  • Fehlendes Sponsoring: Ohne Rückhalt von Geschäftsführung oder Eigentümern verlaufen Projekte im Sand.
  • Technologiefokus statt Businessnutzen: Es wird in Tools investiert, ohne deren Wert für das Geschäftsmodell zu prüfen.

Diese Erkenntnisse unterstreichen, dass erfolgreiche KI-Projekte weniger an der KI-Technologie selbst scheitern, sondern an dem Drumherum (insbesondere an der Aufbereitung der Daten und der strategischen Umsetzung im Unternehmen).

Positiv-Beispiel 1:

Am Hamburger Flughafen wurde ein KI-Projekt zur Vorhersage des Passagieraufkommens an den Sicherheitskontrollen umgesetzt. Die Vorhersagen sollten die Kundenzufriedenheit erhöhen, indem sie den Reisenden den schnellsten Weg durch die Sicherheitskontrollen zeigen, aber auch das finanzielle Ergebnis des Flughafens verbessern, indem sie den Sicherheitsmanagern helfen, ihre Personaldisposition zu optimieren. Nur durch exzellentes Datenmanagement und klare Zieldefinition gelang es, ein skalierbares Modell zu entwickeln. In vielen anderen Projekten jedoch scheitert man schon an dieser Hürde.

4. Erfolgsfaktoren für KI-Projekte

Aus den Analysen erfolgreicher Projekte lassen sich klare Erfolgsmuster ableiten:

  1. Klare Zielsetzung: Projekte müssen mit spezifischen, messbaren und erreichbaren Zielen starten.
  2. Top-Management-Sponsorship: Ohne Unterstützung der Geschäftsführung sind Projekte chancenlos.
  3. Multidisziplinäre Teams: Technisches und fachliches Knowhow müssen kombiniert werden.
  4. Pilotprojekte & Quick-Wins: Kleine, überschaubare Projekte liefern schnelle Erfolge und erhöhen die Akzeptanz.
  5. Skalierbarkeit: Projekte müssen wachsen können – über Abteilungen hinaus.
  6. Transparenz & Priorisierung: Klare Scoring-Modelle sorgen für Nachvollziehbarkeit bei Auswahl und Reihenfolge.
  7. Ethische Aspekte: Bias und Diskriminierung müssen systematisch adressiert werden.

Positiv-Beispiel 2:

Klarna: Der KI-Kundenassistent von Klarna ersetzte den Arbeitsaufwand von über 700 Vollzeitmitarbeitenden. Erfolgsfaktoren: Exzellente Datenqualität, globale Skalierbarkeit und nahtlose Integration in die App.

5. Low-Hanging-Fruits identifizieren – die Rolle der KI-Inventur

Bevor KI-Projekte starten, braucht es eine KI-Inventur: Eine systematische Sammlung und Bewertung möglicher Anwendungsfälle.

Die Bewertung erfolgt in einer Nutzen-Realisierbarkeits-Matrix:

  • Nutzen: Welchen Wertbeitrag liefert die Initiative (z. B. Kostenreduktion, Umsatzsteigerung, Risikominimierung)?
  • Realisierbarkeit: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, das Projekt mit vorhandenen Daten, Ressourcen und Prozessen umzusetzen?

Das Ergebnis ist ein Ranking, das Low-Hanging-Fruits sichtbar macht: Projekte mit hohem Nutzen und hoher Realisierungswahrscheinlichkeit.

Einsatz der AI Project Canvas

Die AI Project Canvas bietet den methodischen Rahmen, um KI-Vorhaben strukturiert zu erfassen und zu bewerten. Sie zwingt Unternehmen dazu, alle relevanten Fragen zu stellen und verhindert, dass Projekte vorschnell gestartet oder falsch priorisiert werden.

Die Canvas gliedert sich in zentrale Bausteine:

  • Treiber: Welche strategische Notwendigkeit oder welcher Verdrängungsdruck macht das Projekt erforderlich?
  • Zu lösendes Problem: Welcher konkrete Schmerzpunkt soll gelöst werden und was macht das Problem zu einem Problem?
  • Zielsetzung: Was soll im Nachhinein anders als zuvor sein? Woran kann man konkret die Zielerreichung messen?
  • Betroffene: Wer sind die potenziellen Nutzer einer Lösung und welche Stakeholder sind unmittelbar oder mittelbar betroffen?
  • Daten und Datenquellen: Auf welchen Daten basiert das Projekt, in welcher Qualität und in welcher Verfügbarkeit liegen diese vor?
  • Idee zur technologischen Umsetzung: Welcher Lösungsansatz wird verfolgt, welche Features sollen entwickelt werden?
  • Relevante Guidelines & Policies: Welche rechtlichen, regulatorischen oder unternehmensinternen Vorgaben beeinflussen die KI-Entwicklung und Umsetzung?
  • Stakeholder: Welche Gruppen haben Einfluss auf den Projekterfolg – und mit welcher Haltung treten sie auf (Förderer, Bremser, Skeptiker)?
  • Aufwand & Ressourcen: Welcher personelle, zeitliche und finanzielle Aufwand ist erforderlich – sowohl initial als auch im Betrieb?
  • Projektplanung / Nächste Schritte: Welche konkreten Schritte sind zu gehen, wie sieht die Roadmap aus, wie wird entschieden und kommuniziert?

Damit verbindet die AI Project Canvas strategische Fragen (Warum) mit der technologischen Lösung (Was) und der konkreten Umsetzung (Wie).

(Vergrössern: Click auf das Bild) 

Warum die Stammbelegschaft das nicht leisten kann

Die Durchführung einer KI-Inventur ist äußerst ressourcenintensiv:

  • Die Stammbelegschaft ist im Tagesgeschäft und laufenden Projekten gebunden
  • In der Regel fehlt eine KI-spezifische Methodenkompetenz
  • Interne Interessenlagen verzerren die Priorisierung

Deshalb gilt:

Eine KI-Inventur ist nicht nebenbei machbar. Gerade in restrukturierungsnahen Situationen, wo ohnehin Ressourcenknappheit herrscht, ist eine KI-Inventur ohne externe Unterstützung faktisch unmöglich. Hier braucht es externe, unabhängige Spezialisten mit Methoden- und Umsetzungskompetenz.

6. Beispiel-Branchen, die sich Zögern nicht leisten können

Manche Branchen können es sich schlicht nicht erlauben, auf KI zu warten:

  • Automobilhandel: Das Geschäftsmodell ist massiv unter Druck. E-Mobilität, neue Wettbewerber aus Fernost, sinkende Margen und die Umstellung vieler Hersteller auf neue Vertriebskonzepte zwingen Händler und Vertreter, effizienter zu werden. KI kann helfen, Prozesse und den damit einhergehenden Personaleinsatz massiv zu verschlanken und die Auswirkungen veränderter Vertriebsmodelle (z. B. VDZ von Mercedes-Benz) besser zu antizipieren.
  • Bau- und Immobilienwirtschaft: Laut UNITEDINTERIM-Wirtschaftsreport 2025 behindert mangelnde Digitalisierung die Branche massiv. KI kann Planungs- und Genehmigungsprozesse beschleunigen.
  • Banken & Finanzdienstleister: Stark unter Druck durch Regulatorik, Digitalisierung und FinTechs. KI wird bereits eingesetzt für Betrugserkennung, Kreditentscheidungen und personalisierte Kundenservices.
  • Personalwesen (HR): KI-gestützte Systeme entlasten von Routinetätigkeiten, sichern Knowhow und schaffen Organisationsintelligenz – etwa durch Wissensdatenbanken, die Wissen 24/7 verfügbar machen und so Fachkräftemangel und Einarbeitungszeiten abmildern.

7. Die Rolle externer Expertise

Hier kommen Interim Manager ins Spiel. Sie sind die Ressource, die Unternehmen oft fehlt:

  • Erfahrung: Interim Manager haben zahlreiche Digitalisierungs- und KI-Projekte in unterschiedlichen Branchen umgesetzt.
  • Neutralität: Sie sind frei von internen Machtspielen und fokussieren sich auf Fakten.
  • Umsetzungskraft: Interim Manager liefern nicht nur Konzepte, sondern realisieren sie – mit klaren Meilensteinen.
  • Tempo: Statt monatelanger Einarbeitung bringen sie sofort Struktur und Geschwindigkeit.

Interim Manager mit Restrukturierungs- und KI-Kompetenz bringen beides zusammen: Das Verständnis für akute Krisen- und Kostensituationen und die Methoden, um KI als Hebel für Effizienz und Zukunftsfähigkeit einzusetzen.

John P. Kotter hat in "Accelerate" das Konzept der dual operierenden Organisation skizziert: Neben der klassischen Linienorganisation braucht es ein agiles, flexibles Transformationsnetzwerk.

Genau an dieser Stelle können Interim Manager ihre Stärken einbringen.

Nämlich als Teil dieses Netzwerks oder in einer Stand-Alone-Rolle, die temporär Geschwindigkeit, Neutralität und Umsetzungsstärke sicherstellt.

Damit schließen sie die Lücke zwischen Tagesgeschäft und Transformation. Eine Lücke, die gerade im Mittelstand häufig besonders groß ist.

Gerade im Kontext von KI-Inventuren und komplexen Transformationsprogrammen können Interim Manager dahingehend unterstützen, Projekte von der Idee in die Umsetzung zu bringen.

8. Fazit und Ausblick

KI ist kein Schnellschuss, sondern ein tiefgreifendes Transformationsprogramm.

Es bindet erhebliche Ressourcen und kann nur mit Struktur, Methodik und neutraler Steuerung erfolgreich umgesetzt werden.

Unternehmen, die nicht zeitnah ins Handeln kommen, laufen Gefahr, den Anschluss zu verlieren und unter Umständen den Rückstand zum Wettbewerb nicht mehr aufzuholen.

In der Managementliteratur spricht man in diesem Zusammenhang vom „iPhone-Moment" – dem Punkt, an dem sich Märkte unwiderruflich verschieben.

Gerade im Mittelstand, wo ein einziger „iPhone-Moment" der Branche deren Geschäftsmodelle unwiderruflich verschieben kann, ist das Risiko besonders groß.

Was es braucht, ist eine klare Roadmap, die Nutzen und Realisierbarkeit in Einklang bringt. Und das einhergehend mit der Bereitschaft, externe Expertise einzubinden.

Mit meinem Profil aus Restrukturierung, CFO-Expertise und der Zusatzqualifikation als Geprüfter KI Manager begleite ich Unternehmen genau an dieser Schnittstelle – wenn es darum geht, bestehende Strukturen zu stabilisieren und zugleich die Chancen von KI nutzbar zu machen. Eine Kombination aus Fachwissen, Neutralität und Umsetzungskraft.

Die Unternehmen, die heute mutig und methodisch vorangehen, dürften morgen zu den Gewinnern gehören.

Ulf Camehn

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Donnerstag, 04. September 2025

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