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Case-Studies und Blogbeiträge von professionellen Interim Managern und Interim Managerinnen

Agilität statt Stillstand: Wie Finanztransformation auch in der Krise gelingt

Warum ich als CFO gerade in der Restrukturierungsphase auf Agilität setzte.

In der Mitte einer Unternehmenskrise steht man als CFO oft vor einer paradoxen Situation: Einerseits muss man schnell handeln, andererseits fehlen genau dann die Ressourcen für umfassende Veränderungen.

Ich stand genau vor dieser Herausforderung, als ich als CFO in ein breit diversifiziertes Unternehmen kam, welches in eine Ertrags- und Liquiditätskrise gerutscht und zudem mit einer schwerfälligen Reporting-Landschaft ausgestattet war. Kurz: Es war zu diesem Zeitpunkt kaum steuer- und schon gar nicht veränderbar.

Die klassische Lösung wäre gewesen: Ein großes Projekt mit externen Beratern aufsetzen, monatelang planen und dann hoffen, dass die Lösung am Ende noch zu der sich rasant verändernden Unternehmenssituation passt.

Als verantwortlicher C-Level-Manager in der Tech-Branche hatte ich agile Organisationen aufgebaut und mit dem Lean-Start-up-Ansatz erfolgreiche Produkte auf den Markt gebracht. Kurze Entwicklungszeiten, schelle Messbarkeit und fortlaufende Anpassung an die Wünsche der Stakeholder. So verkehrt konnte das auch in einem klassischen Umfeld nicht sein. Deshalb entschied ich mich für ein solches agiles Vorgehen. Außerdem hatte ich einen Hintergedanken. Dazu aber später mehr.

Einführung von Microsoft Power BI und Vorbereitung der Migration auf Microsoft Dynamics als ERP-System

Über das Projekt habe ich in meiner Case Study im März 2025 bereits ausführlich berichtet. Mit Microsoft Power BI nutzten wir bewusst eine Technologie, die bereits in unserer Microsoft 365-Lizenz enthalten war – ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor in angespannten Zeiten. Statt große IT-Investitionen zu tätigen, fokussierten wir uns auf die Optimierung vorhandener Ressourcen.

Schrittweise entwickelten wir:

  1. Ein integriertes Finanz-Dashboard mit Echtzeit-Cashflow und Liquiditätsprognose
  2. Eine konsolidierte Ergebnisrechnung über alle Gesellschaften
  3. Ein Cockpit mit Margen- und Rentabilitätsanalyse
  4. Einen integrierten Planungs- und Forecastprozess

Diese Module wurden nicht nacheinander, sondern parallel in verschiedenen Reifegraden entwickelt – gemäß der agilen Maxime "fertig ist besser als perfekt".

Das agile Setup: Klein anfangen, schnell liefern, kontinuierlich verbessern

Statt ein Mammutprojekt zu starten, bildeten wir ein kompaktes, diversifiziertes Team. Unser „Entwicklerteam" setzte sich aus der Teamleiterin Finanzen und Controlling für die Zahlenperspektive, einem IT-Spezialisten mit Datenaffinität, einer Servicemitarbeiterin für die Kundenperspektive und einem Abteilungsleiter aus der Produktion für operative Einblicke zusammen. Als „Product Ownerin" hatte sich eine Kollegin aus dem Projektteam zur Verfügung gestellt, die Grundkenntnisse über Scrum besaß. Ich selbst fungierte in dem Projekt „Scrum-Master".

Mit ScrumBan implementierten wir einen Mix aus Scrum und Kanban: Zweiwöchige Sprints mit einer klaren Definition of Done, tägliche 15-Minuten-Abstimmungen („Daily Scrum") und ein transparentes Kanban-Board, das für alle Mitarbeiter*nnen einsehbar war. Jeder Zyklus endete mit einem Review, zu dem wir die Stakeholder einluden. Im Review wurden Ergebnisse vorgestellt und die Fortschritte in Richtung Produkt-Ziel diskutiert.

Ein Schlüssel zum Erfolg: Wir begannen mit einem Minimal Viable Product – einem Cashflow-Dashboard, welches unser drängendstes Problem adressierte – und lieferten dieses innerhalb von nur drei Wochen. Es war bei weitem nicht perfekt, zumal die Herkunftsdaten noch nicht harmonisiert waren. Aber wir konnten damit arbeiten und es bildete so die Grundlage für fortlaufende Verbesserungen. Diese schnelle Erfolgserfahrung schaffte Vertrauen und Momentum für die weiteren Schritte.

Was crossfunktionale Teams leisten, wenn hierarchische Strukturen blockieren

In einem Krisenszenario haben wir keine Zeit. Ich hatte gehofft, dass sich die Vorteile von agilen Projektmanagement in dem klassischen Umfeld schnell zeigen würden. Nur hatte ich nicht damit gerechnet, dass das so schnell geschehen würde. Die Dynamik im Team überwand jahrelang gewachsene Silos und Abteilungsgrenzen. Plötzlich diskutierten Controller*innen direkt mit dem Kundenservice über Kundenwünsche, Mitarbeiter*innen der Produktion brachten wertvolle Einsichten zur Kapazitätsplanung ein und diskutierten mit der IT über deren technologische Umsetzung.

Diese direkte Kommunikation ohne hierarchische Umwege ermöglichte uns einen entscheidenden Vorteil: Wir konnten Probleme identifizieren und lösen, bevor sie in aufwändigen Berichtszyklen sichtbar wurden. Die Teamleiterin aus dem Bereich Finanzen und Controlling brachte es auf den Punkt: "Früher haben wir vier Wochen gebraucht, um festzustellen, dass ein Kunde nicht mehr profitabel ist. Heute sehen wir es in Echtzeit."

Messbare Ergebnisse und kultureller Wandel

Messbare Ergebnisse müssen in einer krisenbehafteten Unternehmenssituation noch viel scheller geliefert werden als in jeder anderen Phase. Dank des Lean-Start-up-Ansatzes „Bauen-Messen-Lernen" haben wir den Nutzen unserer fertigen Produkte fortlaufend messen können. Die Zeit für die Berichterstellung sank um 65%, wodurch monatlich über 60 Arbeitsstunden für wertschöpfende Analysen freigesetzt wurden. Die gruppenweiten Planungszyklen wurden halbiert – von acht auf vier Wochen. Unsere Forecast-Genauigkeit verbesserte sich um 20%, was direkt unsere Bestandsplanung und das Cash-Management optimierte und die Datenkultur im Unternehmen wandelte sich grundlegend – von "Mein Excel" zu "Unsere gemeinsame Datenbasis"

In Krisenzeiten wird oft auf die Umsetzungsfähigkeit einzelner Helden gesetzt, die in abgeschotteten Meetings Ideen und Vorgehensweisen für eine Restrukturierung „ausbaldowern". Die Hoffnung, alle Stakeholder würden diesen Ideen klaglos und engagiert folgen, stirbt nicht selten genug zu allerletzt.

Für mich war die agile Vorgehensweise in dem Projekt ein wirkungsvolles Mittel zum Zweck. Für Veränderungen, die zu einer nachhaltigen Transformation des gesamten Unternehmens und ihrer Stakeholder führen sollen, bedarf es auch eines kulturellen Wandels. Das war das vielleicht wichtigste Ergebnis, schwer messbar, aber mit einer überragenden Folgewirkung. Durch schnell messbare Ergebnisse eigenen Handelns und der Möglichkeit, direkt Einfluss auf den Erfolg zu nehmen, stieg die Strahlkraft und das Engagement aller Stakeholder in der Restrukturierungsphase.

Was andere mittelständische Unternehmen daraus lernen können

Rückblickend waren folgende agile Faktoren entscheidend für unseren Erfolg und die nachhaltige Veränderung unserer Unternehmenskultur:

Transparenz als Kulturwandel: Die täglichen Stand-ups („Daily Scrum") und das für alle einsehbare Kanban-Board schafften eine nie dagewesene Transparenz über Abteilungsgrenzen hinweg. Was als Projektmethode begann, prägt heute unsere gesamte Kommunikationskultur.

Inkrementelles Vorgehen statt Perfektionismus: Die Fokussierung auf funktionsfähige Teillieferungen statt perfekte Gesamtlösungen veränderte unsere Einstellung zu Fehlern grundlegend – vom "Fehlervermeidungsmodus" zum "Lernmodus".

Selbstorganisation stärkt Eigenverantwortung: Das agile Team traf eigenständig Entscheidungen ohne hierarchische Freigaben. Diese Kultur der Eigenverantwortung hat sich mittlerweile auf andere Unternehmensbereiche übertragen.

Retrospektiven als kontinuierlicher Verbesserungsprozess: Die regelmäßige Reflexion nach jedem Sprint schuf eine offene Feedback-Kultur, die heute fest in der Unternehmens-DNA verankert ist.

Datenbasierte Entscheidungsfindung: Die gemeinsame Entwicklung von KPIs und Visualisierungen führte zu einer völlig neuen "datengetriebenen Kultur" statt der früheren "Bauchgefühl-Entscheidungen".

Führungskräfte als Servant Leader: Als CFO änderte sich meine Rolle fundamental – vom Entscheider zum Enabler, der Hindernisse beseitigt und Rahmenbedingungen schafft. Dieses neue Führungsverständnis breitet sich zunehmend im gesamten Management aus.

Sprint Reviews als Plattform für bereichsübergreifendes Lernen: Die öffentlichen Präsentationen der Sprint-Ergebnisse entwickelten sich zu wichtigen Lernmomenten für die gesamte Organisation und schufen eine neue Kultur des Wissensaustauschs.

Heute steht das Unternehmen nicht nur wirtschaftlich wieder auf solidem Boden – wir haben eine grundlegend andere Unternehmenskultur etabliert, die uns widerstandsfähiger gegen künftige Krisen macht und die ständige Transformation durch gelebte Agilität erheblich erleichtern wird.

Mein Impuls an andere CFOs und Geschäftsführer

Gerade in Krisenzeiten ist der Reflex stark, auf klassische Command-and-Control-Strukturen zurückzufallen. Doch meine Erfahrung zeigt: Agile Methoden sind weit mehr als nur Projektmanagement-Tools – sie können tiefgreifende kulturelle Veränderungen anstoßen, die ein Unternehmen widerstandsfähiger und anpassungsfähiger machen.

Die nachhaltigste Wirkung entfaltet sich, wenn die agilen Werte – Transparenz, Eigenverantwortung, kontinuierliches Lernen und datenbasierte Entscheidungsfindung – nicht auf einzelne Projekte beschränkt bleiben, sondern ins Herzstück der Unternehmenskultur vordringen.

Wie sehen Sie den Einsatz agiler Methoden als Kultur-Katalysator in wirtschaftlich angespannten Zeiten? Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht oder stehen Sie vor vergleichbaren Herausforderungen? Ich freue mich auf Ihren Austausch in den Kommentaren oder eine direkte Nachricht.

Christoph Gentz
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Freitag, 30. Mai 2025

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