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Wo navigiert Brasilien in 2021?
Der nachfolgende Report ist ein Blick zurück und soll dann einen Blick nach vorne wagen. Die Basis der Annahme liegt auf den Beobachtungen und Gesprächen mit unseren Mandanten, ehemaligen Kunden sowie deren Abnehmern und Dienstleistern. Auch fliessen Informationen aus Gesprächen mit dem Analyse-Sektor der größten brasilianischen Privatbank ItaúUnibanco ein
Zum Jahreswechsel 2020/21 ritten die Märkte in Brasilien auf der Welle der internationalen Euphorie angesichts des Sieges von Joe Biden und des Fortschritts bei der Produktion und Anwendung von Impfstoffen. So legte die brasilianische Börse Ibovespa eine Rally von 33% bis in die ersten Januarwoche hin, während der Wechselkurs im gleichen Zeitraum um 6% fiel und viele davon träumten, dass der Kurs in absehbarer Zeit unter 5 zum US$ fallen würde.
All dieser Optimismus griff Raum selbst unter den eindeutigen Anzeichen dafür, dass die internen Probleme sich weiter manifestierten. Einige Beispiele: Es gab und gibt bis heute keinen genehmigten Haushalt für 2021. Wird es weiterhin Corona-Soforthilfe geben? Wird die in der Verfassung definierte Obergrenze für Schulde eingehalten?
Im Jahr 2020 hat sich Brasilien viel mehr verschulden als der Durchschnitt aller Schwellenländer – und das, obwohl das Land weniger fiskalischen Spielraum hat. Das Problem kann aber nicht auf Corona allein zurück geführt werden.
Denn schon im Jahr 2019 lag die Bruttoverschuldung unter Einschluss aller von der Zentralbank gehaltenen Staatsanleihen bei 92 % des BIP – verglichen mit dem Durchschnitt für die Schwellenländer von 54 % des BIP (Brasilien 2010: 52%).
Dennoch gab Brasilien rund 8,3 % des BIP für die Bekämpfung der Pandemie aus, was weit über dem Durchschnitt von 3,5 % des BIP der Schwellenländer der G-20 liegt.
Damit stieg die brasilianische Bruttoverschuldung in weniger als einem Jahr um 15 Prozentpunkte des BIP und wird bis Ende 2021 mehr als 100% des BIP erreichen. Mit anderen Worten: Obwohl es sich um ein Land mit mittlerem Einkommen handelt, das weniger wächst als seine Konkurrenten, hat man eine Fiskalpolitik verfolgt, die jener der wohlhabenden Länder entspricht.
Das gilt auch für den Zinssatz, welchen man auf ein historisches Niedrigniveau drückte, während gleichzeitig als Folge daraus der brasilianische Real absurd schnell abwertete.
Infolgedessen wird es im Jahr 2021 ein Rekordvolumen an fälligen Anleihen geben, die vom Finanzministerium verlängert werden müssen (Anstieg von 72% im Vergleich zu 2020).
Es gab und scheint immer noch keinen klaren und effektiven Plan für eine nationale Impfung zu geben. Damit ist Brasilien im Rückstand gegenüber anderen Ländern der Welt – inmitten von politischen Ränkespielen zwischen Union und Bundesstaaten.
Die politischen Risiken wurden und werden immer größer. Wie wird "traditionelle Politik" unter Bolsonaro funktionieren? Wird die Außenpolitik geändert und kehrt das Land als geachtetes Mitglied auf die Weltbühne zurück?
Präsident Bolsonaro, der Anzeichen eines Rückgangs seiner Popularität ängstlich beäugt, bedrängt durch den öffentlichen Druck und mehr als 50 Amtsenthebungsanträge, könnte leicht auf Wirtschaftspopulismus setzen. Die Gefahr ist immens, dass er versuchen könnte, ähnliche populistische Massnahmen wie sein Vorbild Hugo Chávez in den Jahren 1998 bis 2001 zu implementieren.
Der Präsident scheint sein Wahlversprechen, eine "neue Politik" zu machen, aufgegeben zu haben. Die Suche nach größerer politischer Unterstützung und der Versuch, seine Popularität im Vorwahljahr durch das Anbieten von politischen Posten und Geldern zu verbessern, stößt nun auf eine bisher nicht beachtete Budgetbeschränkung: die Ausgabendeckelung.
Unter den gegenwärtigen Bedingungen werden kleine Fehler in der Wirtschaftspolitik fiskalisch und politisch extrem teuer bezahlt.
In der Außenpolitik war Brasilien eine der letzten Nationen, die Bidens Sieg anerkannten. Die Abstinenz einer positiven Politik zum Schutz der Umwelt behindert weiterhin ausländische Investitionen. Das effektive Ergebnis dieser Politik spiegelt sich bereits in einem 50-prozentigen Rückgang der Direktinvestitionen zwischen 2019 und 2020 wider, welche sich seit dem dritten Quartal 2019 beschleunigt hat.
Seit Mitte Januar 2021 beginnen die Finanzmärkte eine Korrektur, was sich unmissverständlich am Wechselkurs manifestiert.
Die Inflation zeigt immer noch Anzeichen einer starken Resilienz weit über den Erwartungen, was die Zentralbank dazu veranlassen sollte, eine Anhebung des Leitzins Selic ins Auge zu fassen.
Mit der zeitlichen Verkürzung der Anleihelaufzeiten im Jahr 2020/21 und mit einem größeren Anteil der Schulden, die an den Leitzins Selic indexiert sind (ca. 35% der Gesamtverschuldung), wird die Kontamination der Geldpolitik auf die Fiskalpolitik größer sein als in der Vergangenheit.
Besonders die Szenarien von multinationalen Firmen gehen davon aus, dass für 2021 ein Primärdefizit von mindestens von 2% des BIP und ein nominales Defizit von ca. 5% des BIP eintreten wird.
Allerdings weisen alle Projektionen eine sich verschlechternde Tendenz aufgrund der erwähnten zunehmenden Risiken aus – hauptsächlich im Zusammenhang mit der Zahlungsunfähigkeit der Städte und Gemeinden. Die meisten multinationalen Firmen, sowie größere brasilianische Firmen legen ein pessimistisches Szenario zu Grunde, in dem Wirtschaftspopulismus nach dem Vorbild von Hugo Chávez regiert.
Durch die Wahlen zur Neubesetzung der Führung im Abgeordnetenhaus und im Senat kann sich ein Fenster geöffnet haben, um eine Reformagenda voranzutreiben. Wenn die Regierung Bolsonaro dieses Zeitfenster abermals nicht nutzt und dem Weg der fiskalischen Verantwortungslosigkeit weiter folgt, wird der neue Präsident ab 2023, wer immer er auch sein mag, einen schweren Job zu erledigen haben.
Wer auch immer er oder sie sein mag, wird die undankbare Aufgabe haben, ein fiskalisches Desaster für Brasilien abzuwenden.
Ein Voranschreiten auf der Linie der aktuellen Verantwortungslosigkeit und fehlenden Regierungskultur wird zu einem bereits bekannten Ergebnis führen:
(1) Erhöhte Risikowahrnehmung internationaler Investoren,
(2) massive Abwertung des Real,
(3) Verlust des Vertrauens in die makro-ökonomische Stabilität,
(4) geringeres Wachstum und
(5) Beschleunigung der Inflation.
Man wird den Eindruck nicht los, dass in der Regierung Bolsonaro das plakativ genutzte Wort „Liberalismus" mit Verantwortungslosigkeit und dem Negieren von "Regierung" gleichgesetzt wird.
Was können wir angesichts dieses Szenarios für die Wirtschaft bis zum Ende des Jahres 2021 erwarten?
Kurzfristig finde ich es sehr schwierig, nicht noch weitere Eintrübungen kommen zu sehen. In den letzten Jahren ist Brasilien aus einer Depression mit jährlich eher lächerlichen Wachstumsraten herausgekommen. Aktuell haben wir noch nicht wieder das Aktivitäten-Nniveau erreicht, das wir vor der letzten Rezession hatten (2013/14).
Die höhere Inflation, ein ausgesprochen negativer Faktor, reduziert die Kaufkraft der meisten Familien. Die steigenden Kosten für Lebensmittel trafen die Ärmsten am härtesten und schränkten die Art der konsumierten Waren und Dienstleistungen stärker ein. Das Umfeld für die Verbraucher ist einer der größten Unsicherheitsfaktoren mit Blick auf das Jahr 2021.
Frank P. Neuhaus
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