By Ulf Camehn on Montag, 01. September 2025
Category: INTERIM MANAGER

KI-Projekte: Zwischen Überforderung, Hoffnung und Aktionismus

Wie Unternehmen von Struktur, Methodik und externem Knowhow profitieren können

1. Die Ausgangslage: Druck, Transformation und Unsicherheit

Die deutsche Wirtschaft steht am Beginn einer tektonischen Verschiebung. Während in den Jahren nach der Pandemie vielerorts kurzfristige Umsatzrekorde erzielt wurden, bröckelt inzwischen die Substanz. Der Margendruck steigt, der Verdrängungswettbewerb wird intensiver, die Regulatorik nimmt zu. Gleichzeitig verschärfen Fachkräftemangel und demografischer Wandel die Lage.

Vor diesem Hintergrund gilt Künstliche Intelligenz (KI) als Hoffnungsträger – fast schon als Heilsversprechen. Studien im Kontext des UNITEDINTERIM-Wirtschaftsreports 2025 zeigen: Über 90 % der Interim Manager gehen davon aus, dass KI in den kommenden Jahren so selbstverständlich werden wird wie heute das Internet. Sie wird in allen Branchen Wertschöpfung, Geschäftsmodelle und Wettbewerbslogiken spürbar verändern.

Doch: Der Einstieg in KI ist für viele Unternehmen schwieriger, als sie vermuten. Es fehlt an Knowhow, an Datenqualität, an Ressourcen und an einer strukturierten Herangehensweise. Das Ergebnis sind häufig Aktionismus und Insellösungen. Abteilungen experimentieren auf eigene Faust, bauen einzelne Tools auf, ohne diese in eine Gesamtstrategie einzubetten. Am Ende bleibt unklar, ob sich der Aufwand überhaupt rechnet.

2. KI ist nicht „klassische Digitalisierung"

Viele Unternehmen setzen KI fälschlicherweise mit klassischen Digitalisierungsprojekten gleich. Doch die Unterschiede sind fundamental:

Die Konsequenzen für Unternehmen:

  1. Datenqualität und -verfügbarkeit sind entscheidend. Ohne strukturierte, vollständige und bereinigte Daten sind KI-Initiativen von vorneherein zum Scheitern verurteilt.
  2. Rechtliche Rahmenbedingungen wie die DSGVO und der EU AI Act schaffen zusätzliche Hürden (Hinweis: Der EU AI Act ist seit dem 1. August 2024 in Kraft, wird aber in mehreren Stufen umgesetzt – erste Bestimmungen gelten seit Februar 2025, weitere folgen ab August 2025, der vollständige Anwendungszeitraum reicht je nach Regelung bis 2027). Bias, Transparenz und Nachvollziehbarkeit sind rechtlich wie reputativ kritische Faktoren.
  3. Team-Kompetenz: KI-Projekte erfordern interdisziplinäre Teams – Data Scientists bzw. ein Mindestmaß an internem Knowhow als Schnittstelle zu KI-Dienstleistern, Fachexperten, Projektmanager und Change Manager. IT-Abteilungen allein können diese Aufgabe nicht stemmen.
  4. Veränderungsdynamik: Während IT-Systeme typischerweise einen stabilen Zielzustand anstreben, sind KI-Systeme iterativ. Sie müssen kontinuierlich überwacht, nachtrainiert und angepasst werden. Gerade mittelständische Familienunternehmen unterschätzen diesen Aspekt, weil sie von klassischen IT-Einführungen eher ein Ende als einen Dauerprozess gewohnt sind.

Kurz gesagt: KI ist nicht „Digitalisierung 2.0". Sie ist eine neue Dimension von Transformation – komplexer, dynamischer und mit höheren Risiken behaftet.

3. Warum so viele KI-Projekte scheitern

Die Zahlen sind ernüchternd: Eine Vielzahl unabhängiger Quellen (z. B. McKinsey, MIT) beziffern die Quote von KI-Projekten, die scheitern, auf etwa 60 - 80 % (teils noch höher).

Die Gründe sind vielfältig. Dennoch wiederholen sie sich:

Diese Erkenntnisse unterstreichen, dass erfolgreiche KI-Projekte weniger an der KI-Technologie selbst scheitern, sondern an dem Drumherum (insbesondere an der Aufbereitung der Daten und der strategischen Umsetzung im Unternehmen).

Positiv-Beispiel 1:

Am Hamburger Flughafen wurde ein KI-Projekt zur Vorhersage des Passagieraufkommens an den Sicherheitskontrollen umgesetzt. Die Vorhersagen sollten die Kundenzufriedenheit erhöhen, indem sie den Reisenden den schnellsten Weg durch die Sicherheitskontrollen zeigen, aber auch das finanzielle Ergebnis des Flughafens verbessern, indem sie den Sicherheitsmanagern helfen, ihre Personaldisposition zu optimieren. Nur durch exzellentes Datenmanagement und klare Zieldefinition gelang es, ein skalierbares Modell zu entwickeln. In vielen anderen Projekten jedoch scheitert man schon an dieser Hürde.

4. Erfolgsfaktoren für KI-Projekte

Aus den Analysen erfolgreicher Projekte lassen sich klare Erfolgsmuster ableiten:

  1. Klare Zielsetzung: Projekte müssen mit spezifischen, messbaren und erreichbaren Zielen starten.
  2. Top-Management-Sponsorship: Ohne Unterstützung der Geschäftsführung sind Projekte chancenlos.
  3. Multidisziplinäre Teams: Technisches und fachliches Knowhow müssen kombiniert werden.
  4. Pilotprojekte & Quick-Wins: Kleine, überschaubare Projekte liefern schnelle Erfolge und erhöhen die Akzeptanz.
  5. Skalierbarkeit: Projekte müssen wachsen können – über Abteilungen hinaus.
  6. Transparenz & Priorisierung: Klare Scoring-Modelle sorgen für Nachvollziehbarkeit bei Auswahl und Reihenfolge.
  7. Ethische Aspekte: Bias und Diskriminierung müssen systematisch adressiert werden.

Positiv-Beispiel 2:

Klarna: Der KI-Kundenassistent von Klarna ersetzte den Arbeitsaufwand von über 700 Vollzeitmitarbeitenden. Erfolgsfaktoren: Exzellente Datenqualität, globale Skalierbarkeit und nahtlose Integration in die App.

5. Low-Hanging-Fruits identifizieren – die Rolle der KI-Inventur

Bevor KI-Projekte starten, braucht es eine KI-Inventur: Eine systematische Sammlung und Bewertung möglicher Anwendungsfälle.

Die Bewertung erfolgt in einer Nutzen-Realisierbarkeits-Matrix:

Das Ergebnis ist ein Ranking, das Low-Hanging-Fruits sichtbar macht: Projekte mit hohem Nutzen und hoher Realisierungswahrscheinlichkeit.

Einsatz der AI Project Canvas

Die AI Project Canvas bietet den methodischen Rahmen, um KI-Vorhaben strukturiert zu erfassen und zu bewerten. Sie zwingt Unternehmen dazu, alle relevanten Fragen zu stellen und verhindert, dass Projekte vorschnell gestartet oder falsch priorisiert werden.

Die Canvas gliedert sich in zentrale Bausteine:

Damit verbindet die AI Project Canvas strategische Fragen (Warum) mit der technologischen Lösung (Was) und der konkreten Umsetzung (Wie).

(Vergrössern: Click auf das Bild) 

Warum die Stammbelegschaft das nicht leisten kann

Die Durchführung einer KI-Inventur ist äußerst ressourcenintensiv:

Deshalb gilt:

Eine KI-Inventur ist nicht nebenbei machbar. Gerade in restrukturierungsnahen Situationen, wo ohnehin Ressourcenknappheit herrscht, ist eine KI-Inventur ohne externe Unterstützung faktisch unmöglich. Hier braucht es externe, unabhängige Spezialisten mit Methoden- und Umsetzungskompetenz.

6. Beispiel-Branchen, die sich Zögern nicht leisten können

Manche Branchen können es sich schlicht nicht erlauben, auf KI zu warten:

7. Die Rolle externer Expertise

Hier kommen Interim Manager ins Spiel. Sie sind die Ressource, die Unternehmen oft fehlt:

Interim Manager mit Restrukturierungs- und KI-Kompetenz bringen beides zusammen: Das Verständnis für akute Krisen- und Kostensituationen und die Methoden, um KI als Hebel für Effizienz und Zukunftsfähigkeit einzusetzen.

John P. Kotter hat in "Accelerate" das Konzept der dual operierenden Organisation skizziert: Neben der klassischen Linienorganisation braucht es ein agiles, flexibles Transformationsnetzwerk.

Genau an dieser Stelle können Interim Manager ihre Stärken einbringen.

Nämlich als Teil dieses Netzwerks oder in einer Stand-Alone-Rolle, die temporär Geschwindigkeit, Neutralität und Umsetzungsstärke sicherstellt.

Damit schließen sie die Lücke zwischen Tagesgeschäft und Transformation. Eine Lücke, die gerade im Mittelstand häufig besonders groß ist.

Gerade im Kontext von KI-Inventuren und komplexen Transformationsprogrammen können Interim Manager dahingehend unterstützen, Projekte von der Idee in die Umsetzung zu bringen.

8. Fazit und Ausblick

KI ist kein Schnellschuss, sondern ein tiefgreifendes Transformationsprogramm.

Es bindet erhebliche Ressourcen und kann nur mit Struktur, Methodik und neutraler Steuerung erfolgreich umgesetzt werden.

Unternehmen, die nicht zeitnah ins Handeln kommen, laufen Gefahr, den Anschluss zu verlieren und unter Umständen den Rückstand zum Wettbewerb nicht mehr aufzuholen.

In der Managementliteratur spricht man in diesem Zusammenhang vom „iPhone-Moment" – dem Punkt, an dem sich Märkte unwiderruflich verschieben.

Gerade im Mittelstand, wo ein einziger „iPhone-Moment" der Branche deren Geschäftsmodelle unwiderruflich verschieben kann, ist das Risiko besonders groß.

Was es braucht, ist eine klare Roadmap, die Nutzen und Realisierbarkeit in Einklang bringt. Und das einhergehend mit der Bereitschaft, externe Expertise einzubinden.

Mit meinem Profil aus Restrukturierung, CFO-Expertise und der Zusatzqualifikation als Geprüfter KI Manager begleite ich Unternehmen genau an dieser Schnittstelle – wenn es darum geht, bestehende Strukturen zu stabilisieren und zugleich die Chancen von KI nutzbar zu machen. Eine Kombination aus Fachwissen, Neutralität und Umsetzungskraft.

Die Unternehmen, die heute mutig und methodisch vorangehen, dürften morgen zu den Gewinnern gehören.

Ulf Camehn

Profil bei UNITEDINTERIM
Video

Im Morgenfelde 20
38448 Wolfsburg
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
https://ulfcamehn.de/
+49 151 598 78 155
Leave Comments