Hatte man früher den Eindruck, dass das Home Office der Traum eines jeden jungen Brasilianers war, ändert die erzwungene Quarantäne während der Pandemie Covid-19 bei vielen von ihnen die Meinung. In einer Umfrage unter 2.000 Führungskräften aus verschiedenen Bundesstaaten und aller aktiven Generationen gaben 73% der Arbeitnehmer an, dass sie es vorziehen würden, nach Covid-19 nicht mehr Vollzeit zu Hause arbeiten zu wollen. Ohne eine repräsentative Gewichtung vornehmen zu können, ergibt sich aus den Gesprächen mit unseren Mandanten eine ähnliche Tendenz. Ich würde sagen, dass bis zu ⅔ sich eher zurückhaltend zum Thema Home Office äusserten. |
Die oben angeführte Studie benennt hier besonders stark die eher jüngere Generation, speziell die sog. Generation Y (Millennials, heute zwischen 22-37 Jahre). Die gleiche Beobachtung kann ich aus unseren Gesprächen mit Mandanten und Geschäftspartnern ebenfalls bestätigen. Es ist für diese Generation besonders schwierig, mit der Pandemie und den Folgen umzugehen. Kulturell bedingt, wie auch vor einem wirtschaftlichen Hintergrund, sind nicht wenige dieser Professionals wieder bei ihren Eltern eingezogen und beklagen stark, sich eingesperrt zu fühlen und wenig Freiheit zu haben. Auch beklagen sich nicht wenige in dieser Generation darüber, ihre privaten Digitalgeräte nun auch beruflich nutzen zu müssen. Die professionelle Integration der Privatgeräte ist für nicht wenige eine ganz neue Erfahrung, da sich die meisten Privatanwendungen eher auf einfache Kommunikation und Unterhaltung beschränkt hatte. So habe ich auch nicht selten gehört, dass „nun der Chef in die private Räume eindringt und nichtmal die Stromrechnung bezahlt".
Der Mangel an sozialer Interaktion ist nicht das, was den Brasilianern am meisten fehlt. Schaut man sich die Informationen der Kommunikationsdienstleister und Anbieter professioneller Plattformen an, wurden in Brasilien noch nie so viele Anrufe und Arbeitsbesprechungen virtuell abgehalten - und Brasilianer sind echte „Kommunikationsmonster". Was die Brasilianer, besonders Professionals mittleren und gehobenen Alters, vermissen, ist der Kontext des beruflichen Handelns.
Man kann den Eindruck gewinnen, dass reifere Professionals die Dynamik und Kreativität der physischen Gruppe höher einschätzen, als die Professionals der Generation Y. Wurde das Home-Office früher als ausgehandelter Vorteil mit Prestige angesehen, nur für wenige erreichbar, haben wir aktuell das leitende Gefühl, das Büro zu vermissen, zumindest für einige Tage in der Woche. Die von mir oben zitierte Umfrage zeigt, dass ca. 50 Prozent zum ersten Mal Videoanrufe selbst einrichten mußten. In der Gruppe der Professionals der Generation Y lag dieser Wert bei leicht über 25 Prozent.
Ein scheinbar großes Problem war für die Generation Y, eine effiziente Projektführung virtuell sicherzustellen. Aus meinen Gesprächen konnte ich sehr klar heraushören, dass nicht die technische Beherrschung einer digitalen Anwendung die virtuelle Führung effizient macht, sondern die Faktoren, welche grundsätzlich, losgelöst vom technischen Werkzeug, die Effizienz im Projekt bestimmen: Empathie und das Wissen um Stärke und Schwächen jedes Teammitglieds und des taktisch vorteilhaften Einsatzes der Teammitglieder.
Die ausgeprägte Fähigkeit junger Professionals mit digitalen Medien umzugehen, was während den ersten Wochen der Pandemie zunächst der größte Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Generationen zu sein schien, wird sehr klar durch die emotionale Reife älterer Professionals aufgewogen. Wenn es darum geht, verschiedene Lebensbereiche wie Beruf, Projekt und Familie unter einen Hut zu bringen, macht diese Ausgewogenheit einen entscheidenden Unterschied aus.
Scheinbar treibt die jüngeren brasilianischen Professionals eine weitere Furcht um. Beförderungen wurden verschoben, sie werden nicht zu Chefs. Das ist einerseits auf heraufziehende Reorganisationen, Restrukturierungen und Transformationen der Geschäftsmodelle zurückzuführen, aber auch auf neu entdeckte Erfahrungen was effiziente Führung ausmacht.
Aber - eines muß generationsübergreifend klar sein - ohne einen massiven Schritt in Richtung Digitalisierung ist Führung nicht mehr denkbar.
Das Durchschnittsalter der brasilianischen Bevölkerung liegt bei 30 Jahren.
Frank P. Neuhaus
Profil bei UNITEDINTERIM
Marechal Deodoro, 135, 19th. floor
04738000 São Paulo
Brasilien
http://www.imanagementbrazil.com.br/
+55 119 910 39 149