Der Wind wird rauer, die Stimmung schlechter. So berichtet die Creditreform von einem sich verschlechternden Zahlungsverhalten im 1. Halbjahr 2022. Die Allianz Trade sieht eine zunehmende Verschuldung, sinkende Profite und Finanzierungslücken. Und die Förderbank KfW befürchtet einen drastischen Rückgang der Investitionen, während die FAZ thematisiert, ob Banken schwere Krisen noch verstärken.
Gleichzeitig binden Unternehmen aufgrund gestörter Lieferketten mehr Kapital in der Lagerhaltung – bei gleichzeitig vermehrten Auftragsstornos. Auf der Aktivseite führen Chipmangel & Co. zu einem Anstieg halbfertiger Erzeugnisse. In Summe schmilzt die Liquidität, einhergehend mit einer zunehmenden Inanspruchnahme von Kontokorrent-Linien. Zum einen aufgrund mangelnder Auslieferungen in Folge fehlender Ware (oder von Einzelteilen zur Fertigstellung des Produkts) und zum anderen aufgrund der kapitalbindenden Lagerhaltung.
Aber:
Höhere Energiekosten und gestiegene Personalkosten (Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns, tarifliche Lohnabschlüsse, Gehaltssteigerungen für die Stammbelegschaft) werden sich erst ab dem vierten Quartal 2022 in den Büchern wiederfinden!
Vor diesem Hintergrund muss man leider davon ausgehen, dass sich der positive Trend bezüglich der Regelinsolvenzen – das statistische Bundesamt (DESTATIS) berichtet in Pressemitteilung 444 vom 17. Oktober 2022 von einem Rückgang von 20,6 % – bald umkehren dürfte.
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Unternehmen mit dem Thema Turnaround in Form einer Restrukturierung oder Sanierung auseinandersetzen müssen, steigt.
In der nachfolgenden Aufzählung habe ich die für mich wichtigsten Punkte festgehalten, welche die Umsetzung von Turnaround-Projekten erschweren bzw. im Umkehrschluss zu Erfolgsfaktoren werden.
TOP 1: Zu spätes Handeln
Das Erkennen von Frühwarnsignalen und das sofortige Ergreifen von Maßnahmen ist DER Schlüssel zum Erfolg. Auf dem Höhepunkt des Erfolges können Unternehmen sukzessive schrumpfen (Work out), wiederbelebt werden (Turnaround) oder sogar zu größerem Erfolg gebracht werden (Transformation).
Allerdings erschweren gute Zahlen ein realistisches Selbstbild. Konträr stehen sich auch die Schwierigkeit der Krisenerkennung und der Handlungsdruck gegenüber: Je besser es dem Unternehmen geht, desto schwieriger gestaltet sich die Krisenerkennung. Und je schlechter es dem Unternehmen geht, desto höher wird der Handlungsdruck.
Spätestens in der Liquiditätskrise nimmt auch die Fähigkeit zum Turnaround ab, weil entsprechende Berater, Interim Manager, etwaige Sanierungsgutachten und Mitarbeiterfreisetzungen schnell höhere sechsstellige Summe verbrauchen. Der Handlungsspielraum für das Management wird also immer geringer, je stärker sich das Unternehmen in Richtung Insolvenz bewegt.
Unternehmen sind daher gut beraten, sich spätestens auf dem vermeintlichen Höhepunkt zu hinterfragen, um entsprechende Maßnahmen aus einer Position der Stärke heraus in Angriff zu nehmen. Wodurch könnte das eigene Geschäftsmodell angegriffen werden? Gibt es eine zunehmende Anzahl neuer Marktteilnehmer? Worin unterscheiden sich neue Geschäftsmodelle? Welche Ansätze gibt es zum Geschäftsmodell-Redesign?
TOP 2: Schlechtes Stakeholder-Management
Beim Stakeholder-Management kommt es in Unternehmenskrisen auf den Perspektivwechsel an. Und, dass man keine der Interessengruppen vergisst:
+ Eigenkapitalgeber
+ Fremdkapitalgeber
+ Lieferanten
+ Insolvenzverwalter
+ Pensionssicherungsverein (PSV)
+ Öffentliche Hand
+ Kunden
+ Berater
+ Management
+ Gewerkschaften
+ Betriebsrat
+ Kreditversicherer
+ Mitarbeiter
+ Aufsichtsrat/ Beirat
Jede Stakeholder-Gruppe vertritt unterschiedliche Positionen mit vielfältig gelagerten Motiven. Diese Motive muss man sich bewusst machen, um das Turnaround-Projekt professionell, vorbereitet und sicher in der Kommunikation umzusetzen.
Nur eine offene, zeitgleiche und vor allem gleichlautende Kommunikation kann die Basis für ein erfolgreiches Turnaround-Projekt schaffen. Das Thema Vertrauen steht hier im Mittelpunkt.
Und auch diesbezüglich gilt: Je früher man sich mit seinem Turnaround-Projekt befasst, im Idealfall aus einer Position der Stärke heraus, desto kleiner ist auch der Kreis der zu involvierenden Stakeholder.
TOP 3: Unklare Einordnung des PMO in die Organisation
Je kritischer die Unternehmenssituation, desto mehr Handlungsfreiheiten und Durchgriffsrechte müssen dem PMO eingeräumt werden. Man unterscheidet wie folgt:
+ Inform: lediglich berichtende, aber keine leitende Rolle
+ Recommend: PMO hat keine leitenden Befugnisse, gibt jedoch aktiv Empfehlungen ab
+ Agree: Die Zustimmung des PMO ist erforderlich, ohne jedoch leitende Funktionen einzunehmen
+ Decide: Der PMO erhält finalen Durchgriff und eine vollumfänglich leitende Funktion.
Der Einsatz eines erfahrenen Sanierungs-/ Transformationsexperten als CRO kann z. B. in Form einer Generalvollmacht oder Eintragung als Vorstand oder Geschäftsführer abgebildet werden. In Restrukturierungs- und Turnaround-Projekten empfiehlt es sich zudem, dass der CRO sowohl im Steering Committee oder Lenkungsausschuss als auch im PMO vertreten ist.
TOP 4: Fehlende Führungskonsequenz
Die Erfahrung bei erfolgreichen Restrukturierungen zeigt zur Führung! Dabei kennzeichnet hoher Zeitdruck die Entscheidungs- und Führungssituation. Darüber hinaus sind zur Sicherung des Überlebens (Liquidität) tiefgreifende Veränderungen notwendig. In der Regel bedarf es des Austauschs der 1. Führungsebene sowie >= 50 % der 2. Führungsebene, die häufig DIE „Lähmschicht" für Veränderungen ist. Der Identifizierung guter Potentialträger aus der 3. Ebene kommt in dem Zusammenhang eine wesentliche Bedeutung zu.
TOP 5: Verlust von Leistungsträgern
Die Krise kommt nicht über Nacht. In der Regel orientieren sich vor allem die Leistungsträger frühzeitig um, so dass der Gefahr einer späteren „Negativauswahl" (die Guten sind schon weg) vorgebeugt werden muss:
+ Verständnis erlangen
+ Sinn vermitteln
+ Zuhören und Vertrauen aufbauen
+ Ownership einfordern und Fehler zulassen
+ Im besten Fall noch eine Perspektive bieten können
+ Wechselseitige Kündigungsfrist verlängern
Entsprechend geht es auch hier um eine offene und authentische Kommunikation mit den besten Leuten.
TOP 6: Ausbleibende Konfliktlösung und Mitarbeiter-Einbeziehung
Jeder Mensch tut sich von Natur aus mit Veränderungen schwer. Trotz hoher Unzufriedenheit verharren Mitarbeiter oft im „gemütlichen Elend", neudeutsch Komfortzone.
Der Fähigkeit, Menschen in Veränderungsprozessen mitzunehmen, kommt eine zentrale Bedeutung zu. Dabei sind insbesondere die Mitarbeiter zu identifizieren, die Veränderung als Abwechslung und Chance begreifen.
Gleichzeitig ist zu verhindern, gute Mitarbeiter durch Abdriften in die „Panikzone" zu verlieren.
Und: Konflikte dürfen nicht moderiert, sondern müssen gelöst werden. Dabei kann es um Identifikationskonflikte gehen (Identifikation, Werte, Sinnfrage etc.), Inter-Personelle Konflikte (mit Vorgesetzten, Kollegen, Abteilungen) oder Konflikte Intra-Personeller Natur (Rollendefinition, Autonomie, Verantwortung, Work-Life-Balance) gehen.
Wichtig ist die Erkenntnis, dass Konflikte die Unternehmen Geld kosten (Kündigungen, Personalbeschaffungskosten, hohe Krankenquoten, unzufriedene Mitarbeiter = unzufriedene Kunden etc.) und richtig gemanagte Konflikte entsprechend wahre Innovationstreiber sind.
TOP 7: Unvollständige Performance-Programme
Ein Performance-Programm muss die gesamte Wertschöpfungskette berücksichtigen. Das Aufsetzen eines Cost Reduction Programs (CRP) ist lediglich die Pflicht, Top-Line Management die Kür.
Folgende Bereich gilt es abzudecken:
+ Strategie (Diversifikation, Redesign)
+ Vertrieb (Push + Konsolidierung)
+ Produkt-Marge (Produktkosten-Optimierung)
+ Produktion (Standortverlagerungen + Schichtoptimierungen)
+ Overhead-Kosten Reduktion
+ Supply chain (Optimierung + OPEX-Reduktion)
Quelle: In Anlehnung an BCG
TOP 8: Zu große Einzelmaßnahmen
Studien belegen, dass geplante Effekte oft ausbleiben. Hintergrund ist, dass große Maßnahmen häufiger abgebrochen werden als kleine.
Abbruchmultiple nach Maßnahmengröße:
+ Ca. 1 x bei 5 % vom Gesamteffekt
+ Ca. 2 x bei 20 % vom Gesamteffekt
+ Ca. 4 x bei > 50 % vom Gesamteffekt
Auf fünf Härtegrade aufgeteilt, kommen im Härtegrad 5 gerade mal 31 % des ursprünglich geplanten Gesamteffektes an. Man spricht in dem Zusammenhang von Effekterosion.
Quelle: Studie Nordantech „Best Practice"
TOP 9: Kein professionelles PMO-Tool
Professionelle PMO-Tools sind in komplexen und vielschichtigen Projekten dem klassischen Excel weit überlegen. Insbesondere wenn es um Visualisierung des Projektfortschritts geht, ist z. B. Falcon von Nordantech dem häufig eingesetzten Planner von MS-Teams oder Excel weit überlegen.
TOP 10: Sich externer Beratung verschließen
Gerade in Krisen- und Transformationszeiten sollte man sich externe Beratung an Bord holen. Ein gezielt beauftragter Interim Manager kann als CRO beratend und zugleich umsetzungsunterstützend zur Seite stehen und ausgleichend und glaubwürdig in Richtung aller Stakeholder unterstützen. Qualitätsgeprüfte Interim Manager finden sich z. B. bei UNITEDINTERIM oder speziellen Interim Providern.
Die Aufzählung ist keinesfalls abschließend.
Wer sich aber daran orientiert, die eigene Unternehmenssituation frühzeitig kritisch hinterfragt, externe Unterstützung zulässt (auch für ein objektives Fremdbild), der hat m. E. die besten Chancen, mit zukünftigen Herausforderungen erfolgreich umzugehen.
Ulf Camehn
Profil bei UNITEDINTERIM
Im Morgenfelde 20
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https://ulfcamehn.de/
+49 151 598 78 155
Weitere Quellen:
Change-Management und Umsetzungsorganisation, IfUS-Institut, Marcus Brüning (THM Partners)
Stakeholder-Management und Verhandlungsführung, IfUS-Institut, Arnd Allert (Allert & Co.)