By Jan Beutnagel on Sonntag, 18. August 2024
Category: Case Studies

Personalreduzierung: In der Krise (leider) ein wichtiger Baustein der Restrukturierung

Branche: Automotive (Zulieferer, Kunststoffverarbeitung)

Linienfunktion: General Management (Geschäftsführer, COO)

Thema: Sanierung, Insolvenzvermeidung, Krisenmanagement, Personalabbau, Sozialplan, Betriebsrat

Umsatz: ca. 300 Mio. Euro

Mitarbeiter: ca. 2.000

Aufgabe:

Grundsätzlich bestand die Aufgabe ursprünglich in der Neuausrichtung der Produktion des Unternehmens. Die Struktur war nach Business Units mit ausgeprägtem Kundenschwerpunkt und nach kaufmännischen Aspekten aufgebaut. Daher war meine ursprünglichen Aufgabe als Chief Operating Officer (COO) die Bereiche Produktion, Entwicklung sowie die Prozesse in der Supply-Chain und den Managementsystemen neu zu positionieren.

Wie bei so vielen derartigen Aufgaben: Erstens kommt es anders, und zweitens, als man denkt.

Mit dem ersten Tag befanden wir uns gleich mitten in einer der schwersten Wirtschaftskrisen der letzten Jahrzehnte. Es musste schnell und durchgreifend gehandelt werden. Die extremen Umsatzverluste von mehr 50% ließen die Liquidität rapide sinken und der Forecast zeigte eine maximale Reichweite von weniger als 10 Monaten bis zu einer möglichen Insolvenz.

Als Aufgabe war von Anfang an klar, dass Detaillösungen nicht erfolgversprechend waren und den Zeitpunkt des Ganges zum Amtsgericht lediglich herauszögern, aber nicht verhindern könnten.

Lösung:

„Hurra es ist Krise, aber keiner geht hin!"

Wir drei Geschäftsführer haben von Anfang an die Krise nicht als Katastrophe angesehen, sondern als große Chance, das Unternehmen neu auszurichten. Man war sich unter den Kollegen einig, dass nur eine gemeinsame konzertierte Aktion aus den Bereichen Operations, Sales und Finance dazu führen, und dass das Unternehmen gestärkt aus der Krise hervorgehen und die Kapitalgeber damit überzeugt den Prozess unterstützen würden.

Während andere Unternehmen nach der Devise reagierten „Wie kommen wir durch die Krise?" stand bei uns das Motto „Welche Chancen bietet uns diese Situation?".

Im ersten Schritt wurden innerhalb von weniger als 14 Tagen die ersten Maßnahmen eingeleitet.

Nach diesen ersten Maßnahmen wurde beschlossen, proaktiv auf die Banken zuzugehen. Bei 8 Banken mit sehr unterschiedlichen Finanzierungsanteilen war dies eine echte Herausforderung. Man lobte die vorausschauende Vorgehensweise, die offene Kommunikation sowie ganz besonders den konsequenten und zukunftsorientieren Restrukturierungsansatz. Es wurde uns dringend angeraten einen Restrukturierungsberater heranzuziehen.

Wir hatten zwar freie Hand, folgten aber den Empfehlungen der Banken mit der Fa. SMP aus taktischen Gründen. Insgesamt war das aber eher eine Absicherungsstrategie der Banken. Im Folgenden wird der Teil der Personalreduzierung mit dem Kommunikationsprozess und der Verhandlung hervorgehoben. Insgesamt wurde das Unternehmen aber einmal von „links auf rechts" gedreht.

Neben den umfangreichen Kurzarbeitsanteilen im gesamten Unternehmen, musste an einem Standort, der mit mehr als 50% Umsatzverlust direkt und mit der Auswirkung von Produktionsverlagerungen indirekt betroffen war, das Personal mehr als 60% reduziert werden, was mehr als 100 Arbeitsplätze betraf.

Folgende Vorarbeiten erfolgten

Kommunikationsstrategie:

Bei allen Punkten wurde im Detail festgelegt, wer mit wem und mit welchem Inhalt auf die entsprechenden Interessensgruppen zugeht.

Unter dem Strich wurde für diese Maßnahme ein umfangreicher und detaillierter Businessplan ausgearbeitet, der nicht nur die Chancen, sondern auch die Risiken professionell beleuchtete. Die Schließung des gesamten Standortes wurde bis auf weiteres verworfen, da einzelne, spezifische Prozessschritte nur mit hohen Kosten zu verlagern waren. Die Option wurde aber als strategische zweite Stufe mit in die Überlegungen einbezogen.

Dieser Plan bildete dann die Grundlage für die so genannte Unternehmerische Entscheidung, die elementar für die rechtliche Absicherung der Maßnahme ist.

Die Freigabe durch Gesellschafter, Aufsichtsgremium und Banken erfolgte sehr schnell, da das Konzept schlüssig und vor allem wirtschaftlich in dieser frühen Phase der Krise tragfähig und noch aus eigenen Mitteln finanzierbar war. Mit dieser Information ging auch die Information und die informelle Zustimmung der Banken einher.

Im Folgenden wurden der oberste Führungskreis, der Gesamtbetriebsrat und die Belegschaft des betroffenen Standortes über die Situation und die weiteren Schritte informiert. Um hier konkret zu werden:

Alle Informationsschritte erfolgten durch mich als COO. Wichtig gerade in dieser Phase ist es als Geschäftsführung vor den Betroffenen die Botschaft zu senden und sich nicht vertreten zu lassen. Nach dieser Informationsreihe wurden die lokalen Politiker, wie Bürgermeister und Landrat sowie die Medien informiert. Im Rahmen der Kommunikationsstrategie ist abgestimmt worden, dass jegliche Aussagen ausschließlich über mich als COO laufen müssen. Damit konnte gewährleistet werden, dass die ausgehenden Informationen konsistent und weitgehend interpretationsfrei waren.

Auf zwei Punkte sei hier noch genauer eingegangen.

Diese Punkte werden in derartigen Prozessen oft vernachlässigt, sind aber von entscheidender Bedeutung für eine erfolgreiche Maßnahme.

Nachdem der Betriebsrat sich rechtliche und auch gewerkschaftliche Unterstützung eingeholt hatte, erfolgte der erste Verhandlungstermin zum Interessenausgleich und Sozialplan schon 10 Tage nach der Informationsrunde. Dieser erste Termin war hauptsächlich geprägt durch die Darstellung des wirtschaftlichen Umfeldes und die Begründung der Maßnahme und Stellungnahme auf Fragen und Einwände der Arbeitnehmerseite.

Die zweite Verhandlungsrunde gestaltete sich als sehr schwierig. Arbeitgeberseitig machten wir ein entsprechendes Angebot, welches aber komplett abgelehnt wurde. Es entstand gleich zu Beginn seitens des lokalen Betriebsrates eine totale Blockadehaltung. Erst nach mehrstündigen Versuchen hier weiterzukommen, mit zahlreichen Unterbrechungen, wurde klar, dass eine Unternehmensschließung in der Region mit außergewöhnlich hohen Abfindungen der Maßstab der Arbeitnehmer war. Mit dieser Kenntnis, aber auch durch Einwirken der externen Verhandlungspartner des Betriebsrates war es möglich, weiter in die Verhandlung zu gehen. Wichtig war klarzumachen, dass das Beispiel des anderen Unternehmens aus konkret benannten Gründen nicht vergleichbar war. Ein immer wieder unterschätzter Aspekt der Verhandlung war allerdings auch die Zeit. Nach mehr als 6 Stunden Diskussion und kurz vor Mitternacht waren doch Ermüdungserscheinungen beim Betriebsrat zu bemerken. Ein Durchbruch konnte aber nicht erreicht werden. Obwohl arbeitsgeberseitig noch Spielraum gegeben war, blockierte der Betriebsrat jede weitere Diskussion und wollte das Scheitern der Verhandlung feststellen lassen und damit ein Schlichtungsverfahren erzwingen. Aus Unternehmenssicht wäre das nicht erstrebenswert, da ein derartiges Verfahren langwierig sein kann und wir auch noch nicht am Ende mit den Möglichkeiten waren, zumal wir uns ja erst im zweiten Verhandlungstag befanden. Nach intensiven informellen Runden mit Gewerkschaft und Anwalt konnte man sich darauf einigen, dass ein Mediator eingeschaltet wird und der Prozess bis dahin nicht als gescheitert erklärt wird. Um drei Uhr morgens ging damit diese Phase zu Ende.

Parallel zu den Verhandlungen wurde in Erwägung gezogen, eine Transfergesellschaft für die Umsetzung des Personalabbaus einzusetzen. Eine Transfergesellschaft hat den Vorteil, dass nach Übergang der betroffenen Arbeitnehmenden diese sofort von der Payroll des Unternehmens verschwinden. Die Kosten sind meist recht transparent und man hat die Chance, bei hoher Vermittlungsgeschwindigkeit und -Qualität noch Rückvergütungen zu erhalten. Da die Transfergesellschaften der Gewerkschaften keinen guten Ruf hatten, legten wir schließlich eine landeseigene Gesellschaft fest, im Falle, dass die Arbeitnehmerseite zustimmt.

Der dritte Teil der Verhandlung fand 3 Wochen später statt. Man einigte sich auf einen neutralen Ort ca. 300 Kilometer entfernt. Damit waren alle Teilnehmenden gezwungen sich ausschließlich auf den Verhandlungstermin zu fokussieren. Die Verhandlungen begannen am späten Nachmittag. Aufgrund der schon im Vorfeld insbesondere mit der Gewerkschaft und dem Anwalt ausgetauschten Hinweise, konnten jetzt unter einer sehr professionellen Mediation nach und nach die Hürden überwunden werden. Der Durchbruch konnte erreicht werden, nachdem wir die Zustimmung zum Einsatz einer Transfergesellschaft geben haben. Die nachfolgenden Details zu Interessensausgleich mit Freiwilligenprogramm und Sozialplan waren dann noch reines Handwerk. Nach trotzdem mehr als 12 Stunden Verhandlung und morgens um 5 Uhr konnten dann von beiden Seiten die Unterschriften auf den Entwurf des Ergebnispapiers vorbehaltlich der Gremienzustimmung gesetzt werden.

Ergebnis:

Die Gremienzustimmung von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite erfolgte umgehend nach Vorlage der finalen Dokumente. Aufgrund der Abstimmung untereinander alle vorbereitenden Arbeiten zur Umsetzung schon fortzuführen, konnte die Umsetzung auch unmittelbar nach der Unterschrift beginnen.

Nach Abschluss aller Maßnahmen der Personalreduzierung lagen die Gesamtkosten bei  weniger als 75% des Gesamtbudgets. Es mussten keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen werden, da das Freiwilligenprogramm mit Übergang in die Transfergesellschaft so ausgestaltet war, dass alle potenziell betroffenen das Angebot annahmen. Teilweise nutzten ältere Mitarbeitende auch damit die Chance vorfristig aus dem Arbeitsleben auszuscheiden. Die Vermittlungsquote aus der Transfergesellschaft war größer als 90%, der Rest waren nicht mehr Vermittlungswillige.

Durch diese Maßnahme wurde ein deutliches Signal an die Banken gesendet, dass das Unternehmen und seine Geschäftsführung schnell und konsequent zu handeln in der Lage waren. Zusammen mit den Maßnahmen der Kurzarbeit konnte damit die Liquidität stabilisiert werden, bis es Ergebnisse für die weitere Finanzierung durch die Kapitalgeber gab. Durch den Fakt, dass die Mitarbeitenden in die Transfergesellschaft übergingen, kam auch zügig wieder Sicherheit in die verbleibende Belegschaft. Zumal die weiteren Maßnahmen zur Effizienzsteigerung und Restrukturierung nachhaltig griffen.

Im finalen Ergebnis konnte das Unternehmen nach 12 Monaten wieder schwarze Zahlen schreiben, hatte umfangreiche Aufträge von Wettbewerbern übernehmen können, hatte eine neue Finanzierungsstruktur und sogar in neue Maschinen und Anlagen investieren können.

Das Ziel „aus dieser Krise gehen wir gestärkt raus!" wurde zu 100% erfüllt.

Jan Beutnagel
PROFIL BEI UNITDINTERIM

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