Dieser Beitrag erschien bereits am 31. Mai im MANATNET-Blog
Nein, ich möchte keineswegs theatralisch wirken! Dennoch glaube ich zu spüren, dass sich in den vergangenen zwei Wochen etwas dramatisch verschoben hat.
Mag sein, dass ich mich täusche, aber in der Vergangenheit hatte ich ein recht gutes Gespür für solche tektonischen Verwerfungen.
Was ist geschehen? Drei Dinge haben die Welt in Deutschland verändert:
(1) Das Video von Rezo: „Die Zerstörung der CDU", das heute, während ich dies schreibe, sage und schreibe 13,9 Mio. Aufrufe erhalten hat.
(2) Die Verluste der GroKo bei der Europawahl: CDU/CSU: minus 8,4% – und SPD: minus 11,5%.
(3) AKKs sprachlicher Lapsus: „Regulierung von Meinungen", der einen beinahe mitleiderregenden Shitstorm unter der Klammer „Angriff auf das Grundgesetz!" auslöste.
Zwischen „historischem Wandel" und „Epochenbruch"So ziemlich jeder hat sich inzwischen mit diesen drei Themen, die zusammenhängen, beschäftigt:
So schreibt Sascha Lobo in Spiegel-Online („Marathon im Fettnapf"): „Die GroKo der beiden schwindenden Volksparteien CDU und SPD regiert ein Land, das es nicht mehr gibt - mit einem Instrumentarium, das nicht mehr funktioniert."
Und Focus titelt „Mit derben Worten verweigert Juso-Chef Kühnert Nahles die Unterstützung" und schreibt: „Vieles deutet darauf hin, dass da gerade ein historischer Wandel stattfindet, der weit über eine bloße Momentaufnahme hinausgeht." An anderer Stelle verwendet Focus den Begriff „Epochenbruch".
Und das sehe ich tatsächlich genau so und erwarte für mich: Nichts wird mehr sein wie vorher – nach diesen „historischen" zwei Wochen.
Und das betrifft – denn das ist die inhaltliche Klammer meines Blogs – auch das Interim Management: So sicher wie ich diese Zeilen schreibe!
Was macht mich da so sicher?
Das Dilemma der GroKo geht aus meiner Sicht auf vier Besonderheiten zurück:
(1) Arroganz und Ignoranz: Die Meinung der jungen Generation wurde schlichtweg negiert und damit signalisierten die Politiker „Ihr interessiert uns nicht!". Für mich das letzte große Beispiel solchen Verhaltens vor dem Rezo-Video war die Entscheidung zur Reform des Urheberrechtes mit dem besonderen Schmankerl Artikel 13. Hier sind die jungen Leute in Scharen auf die Straße gegangen, um dagegen zu protestieren. Unmittelbar anschließend wurde die Reform nonchalant durchgewunken. In der Transaktionsanalyse würde dies wohl mit einem „Du bist dumm!" gleichgesetzt. Kein Wunder dann, dass die Reaktion darauf lautete: „Ich bin nicht dumm, aber Du bist böse!"
Auf Rezos Video wurde in vergleichbarer Weise reagiert – was in wunderbarer Weise von Knut Junker in seinem Cartoon karikiert wird:
(2) Unsägliche Plattitüden: Vielleicht waren Politiker schon immer so – aber dann fällt´s heute halt mehr auf und die Menschen haben es schlichtweg satt.
Wenn ich mir die stereotypen Antworten der Politiker auf Fragen vor Ohren halte, dann graust es mich! Diese Antworten haben viel zu oft, wenn schon nicht gar nichts, dann aber wirklich nur kaum etwas mit der jeweiligen Frage zu tun! Und so gut wie niemand von den Fragestellern hakt mal nach mit einem „Bei allem Respekt: Danach habe ich gar nicht gefragt!".
Oder die Antworten der CDUler und SPDler auf das Wahlfiasko: „Wir müssen jetzt in aller Ruhe die Ergebnisse analysieren und werden dann beraten und unsere Schlüsse daraus ziehen. Jetzt ist es nicht an der Zeit für Schuldzuweisungen oder gar Personaldebatten!"
So oder so ähnlich hören wir das nach jeder Wahl – von den Verlieren. Die Gewinner nutzen andere Plattitüden: „Wir werden jetzt in Ruhe Gespräche führen!" und, mein Favorit: „Es geht um Sachfragen, nicht um Personaldebatten!" Allgemeines Schenkelklopfen vor den Fernsehern…
Stellen Sie sich mal vor, rein theoretisch, einer – oder eine – von z. B. der SPD sagte: „Was für eine Scheiße! Wir haben weit über 40 Prozent unsere Wähler verloren! Stellen Sie sich bitte nur mal vor, uns passiert das Gleiche bei der nächsten Wahl noch einmal! Ich darf gar nicht dran denken! Wir haben also drastischen Handlungsbedarf und ich sehe unsere Partei unmittelbar vor einem Restrukturierungsprozess. Der wird hart werden, wir werden die eigene Komfortzone verlassen müssen – und da werden einige von uns aus der Kurve fliegen. Aber ich werde diesen Prozess mit aller Macht treiben. Und deshalb verlasse ich jetzt diese Plauder-Runde: Ich habe Wichtigeres zu tun!"
Ich bin mir sicher: Auch hier gingen die Zugriffe auf ein solches Statement durch die Decke!
(3) Verzerrte Wahrnehmung: Politiker sind toll – im Eigenbild. Das Fremdbild sieht (vielleicht sogar völlig) anders aus – zumindest, wenn man die Beliebtheitsskala der Berufsgruppen von Forsa (noch aus 2017) zu Rate zieht: Hiernach haben nur Versicherungsvertreter ein noch schlechteres Image! Übrigens: Das Image des Berufs „Manager" ist fast exakt gleich miserabel!
(4) Leben in einer Blase: Ich teile hier die Meinung von Sascha Lobo, der im oben genannten Artikel schreibt: „Wenn man jedoch genauer hinschaut, war das Problem der CDU nicht, dass sie keine Ahnung von Social Media hat. Sondern - fast im Gegenteil - dass via Social Media klar wurde, wie wenig Ahnung sie von allem anderen hat, was die Jugend interessiert. Es geht nicht um das Medium, sondern um politische Inhalte, um das Fortbestehen des Planeten etwa. Aber auch um das Vertrauen, das die Union zerstörte durch ihre komplette Missachtung einer digitalen Generation, indem sie ohne Rücksicht, ohne Dialog, ohne Sachverstand oder auch nur Respekt die Urheberrechtsreform durchgeprügelt hat."
Schon in alten Zeiten hatte der „Hof" samt seiner „Höflinge" und speichelleckenden „Hof-Schranzen" jegliche Bindung zum „Volk" verloren und lebten gutgelaunt in ihrem eigenen Mikrokosmos – selbstverständlich auf Kosten der anderen. Ging bekanntlich auch nicht so wirklich gut aus…!
So: Und was hat das nun mit dem Interim Management zu tun?
Jede Menge! Aber nur, wenn wir einmal wirklich kritisch draufschauen auf diese Welt, die ich letztlich so liebe:
Sicher, es gibt eine Gruppe von Interim Managern, die hier herausragen – und ich suche die Nähe zu diesen Menschen. Zu meinem großen Bedauern sind das doch viele eben leider nicht.
Ganz besonders gilt das fürs Eigenbild im Vergleich zum Fremdbild: Während das Eigenbild stets goldgerahmt in leuchtend schimmerndem Öl erstrahlt – lautet das Fremdbild mitunter ganz anders:
Stets die gleichen Rituale („Ich bin C-Level: Das ist nichts für mich!"), viel Beharrungsvermögen („Hab ich noch nie gebraucht!"), stets mitreden, selbst, wenn man keine Ahnung hat („Digitalisierung", „3D-Druck"), keine Neugier („Ach ja, Herr Becker, das ist doch alles ziemlich neumodischer Kram, der in unserem speziellen Geschäft nie funktionieren wird!") und weit weg von dem, was junge Menschen („Das ist nicht meine Zielgruppe!"), oder Menschen außerhalb des eigenen, selbst für relevant erachteten Bezugsfeldes, umtreibt („Glauben Sie mir, Herr Becker, ich weiß ganz genau, was meine Kunden brauchen!").
Machen Sie mal folgende Übung: Suchen Sie nach Interim Managern bei XING. Das ist einfach und die Trefferliste wird bei 300 gekappt. Wählen Sie willkürlich 100 Interm Manager und Managerinnen aus. Identifizieren Sie aus dieser Gruppe von 100 diejenigen mit einer eigenen Website: Sie werden keine 100% erreichen. Dann suchen in dieser neue Teilmenge diejenigen Interim Manager, die bei Twitter zumindest dabei sind. Aus der Gruppe, die dann noch übrigbleibt, suchen Sie die Interim Manager bei YouTube heraus…
Wir wollen nicht unterschlagen: Die Blog-Autoren haben Sie bei dieser Übung nicht einmal berücksichtigt – obwohl es ein anerkannter Kanal ist, um sich selbst als Fachmann oder Fachfrau darzustellen und eine entsprechende Reputation aufzubauen.
Daraus folgt – nicht einmal allzu überspitzt formuliert: „In der modernen, digitalen Welt, existieren diese Menschen nicht!" [Sichtbare Interim Manager und unsichtbare]
„Das mag ja alles richtig sein, Herr Becker, aber ich bin Interim Manager für ganz besondere Aufgaben: Für mich funktioniert das alles nicht. Ich vertraue lieber auf mein persönliches Netzwerk!"
Sprachs und zog sich zurück in seine Blase.
Und so wundert es mich überhaupt nicht mehr, dass im Gespräch mit einer Interim Managerin der jüngeren Generation am vergangenen Freitag dieser Satz fiel:
„Dass die Interim Manager am beim Festakt am Freitagabend nicht noch Staubschichten auf ihren Anzügen hatten, war alles!"
Wir schütteln uns noch einmal…
Auch hier gilt also – vielleicht sogar besonders hier:
Ein schriller Weckruf – auch für Interim Manager!
Jürgen Becker - Geschäftsführender Gesellschafter UNITEDINTERIM GmbH
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Cartoon mit freundlicher Genehmigung von Knut Junker