Branche: Fahzeugbau (Zulieferer Kunststoff)
Linienfunktion: General Management (Geschäftsführer)
Thema: Führung in der Krise, Sanierung, Restrukturierung, Krisenmanagement, Verhandlung von Sozialplan und Interessenausgleich
Umsatz: ca. 40 Mio. Euro
Mitarbeitende: ca. 200
Ausgangssituation
Die ursprüngliche Aufgabe bestand darin, die Prozesse im Unternehmen zu optimieren und das Ergebnis zu verbessern. Die Realität sah jedoch deutlich kritischer aus:
- Negatives Ergebnis: Mehr als -10 % Umsatzrendite.
- Finanzielle Schieflage: Negatives Eigenkapital, nur durch Rangrücktritt gedeckt.
- Mitarbeitende unzufrieden: Misstrauen gegenüber der Geschäftsführung und den Gesellschaftern, kaum Gehaltserhöhungen und fehlende Investitionen.
- Intransparente Führung: Fehlende Transparenz im Controlling und Finance, Misstrauen zwischen Führung und Belegschaft hinsichtlich der „Wahrheit" der Zahlenwelt.
- Fehlende Prozessumsetzung: Prozesse waren zwar beschrieben, wurden aber nicht gelebt.
- Fehlende Offenheit: Meinungen wurden nur hinter vorgehaltener Hand geäußert. Konstruktive Auseinandersetzung zwischen Führung und Belegschaft gab es nicht.
- Nicht gelebte Strukturen: Mitarbeitende versuchten regelmäßig Ihre Führungskräfte zu umgehen und z.B. das Gehalt direkt mit der Geschäftsführung zu besprechen
In der Case Studie: Personalreduzierung: In der Krise (leider) ein wichtiger Baustein der Restrukturierung, bin ich detailliert auf die notwendigen Schritte der Sanierung eingegangen. In dieser Case Study möchte ich mich auf das Thema „Führung in der Restrukturierung" fokussieren.
Lösung:
„Was tun, wenn das Unternehmen in einer Krise steckt und die Mitarbeitenden das Vertrauen in die Führung verloren haben?" Hier sind meine Prinzipien aus der Praxis, um das Ruder herumzureißen:
„Willst Du Deine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für Deine Sache gewinnen, dann zeige Dich nicht als Vorgesetzter, sondern als Mensch, der offen und authentisch auftritt, der verlässlich ist und konsequent handelt".
Offensichtlich herrschte bei meinen Vorgängern Misstrauen vor. Denn warum sollte die Tür zu meinem Büro immer abgeschlossen sein und keine Klinke außen haben?
Die folgenden Punkte sind mir als Geschäftsführer, der sein Unternehmen führt, wichtig.
- Sich der Mannschaft öffnen: Als erstes musste der Knopf an der Tür daran glauben und wurde gegen eine Klinke ausgetauscht. Das Prinzip ist ganz einfach. Ist die Tür auf, dann darf mich jeder ansprechen. Ist die Tür zu, benötige ich Ruhe zum Arbeiten oder führe ein Gespräch. Von 24 Stunden ist ab jetzt meine Tür 24 Stunden offen oder geschlossen (Gespräche) gewesen, aber nie abgeschlossen. Das Argument der Sicherheit für wichtige und vertrauliche Vorgänge ist nur vorgeschoben. Ich habe alle Dokumente auf dem Rechner und der ist bei Abwesenheit mit Passwort gesichert. Zusätzlich habe ich genau eine abschließbare Schublade für Vorgänge, die ich gerade aktuell bearbeite.
- Vertrauen bekommt man geschenkt, Misstrauen muss man sich erarbeiten: Nein, ich habe mich in dem Satz nicht geirrt. Ich habe immer einen Grundsatz, wenn ich in ein neues Unternehmen als Geschäftsführer komme. Ich gehe erst einmal davon aus, dass alle Mitarbeitenden hier sind, weil sie etwas geleistet haben und loyal sind. Schließlich sind sie schon länger hier als ich. Ich bin zwar in der oberen oder sogar obersten Position, aber von meinem neuen Unternehmen weiß ich zunächst nur das, was man mir erzählt hat. Daher gehe ich mit Vertrauen und Offenheit in die Organisation. Misstrauen muss man sich bei mir erarbeiten. Mit dieser Einstellung ist es mir stets gelungen, schnell die Kultur des Unternehmens und die Engagierten von den Verhinderern zu unterscheiden.
- Gehe an den Ort des Geschehens und halte nicht Hof: Von den ca. 10 Stunden, die ich i.d.R. in der Firma bin, bin ich 6-8 Stunden nicht im Büro. Weil ich die überwiegende Zeit im Unternehmen unterwegs bin und mit den Menschen spreche. Mir ist Kommunikation wichtiger als Präsentationen zu erstellen. Ich möchte wissen, was die Mitarbeitenden in ihrem Umfeld bewegt. Das bezieht sich nicht nur auf das Geschäftliche, sondern auch die privaten Sorgen, Nöte, aber auch schönen Dinge interessieren mich. Bis das passiert und bis man ehrliche Antworten bekommt, dauert es aber oft ein paar Wochen bis Monate. Der Schlüssel ist, dass ich von mir erzähle. Davon spreche, was mich bewegt, was für ein Mensch ich bin, welche Werte mich leiten, was mich freut
– aber auch was mich ärgert.
- Höre zu und lass zu, dass man dir auch die Meinung sagt: Mir ist wichtig, dass die Menschen um mich herum ihre Meinung sagen können, auch wenn diese vielleicht völlig konträr zu meiner Einstellung ist. Nur dann kann ich wissen, ob meine Argumente verfangen haben und kann ggfs. erklären und weiter verbessern. Und manchmal ergibt sich aus der Diskussion, dass es noch Korrekturbedarf gibt oder sogar dass der Weg falsch ist. Ohne die offene Aussprache wäre dies vielleicht viel zu spät aufgefallen.
- Starke Führungskräfte suchen sich starke Führungskräfte, aber auch Mitarbeitende: Sicher keine neue Erkenntnis, aber warum passiert das so selten? Oft, weil man auch verkennt, dass es Führungskräfte braucht, die für bestimmte Situationen passen müssen. Gerade Krisensituationen mit der Notwendigkeit zur Restrukturierung oder gar Sanierung, erfordern andere Charaktere als ein stabiles Umfeld. Um eine Krise zu bewältigen, muss man daher nicht selten die Führungsmannschaft verändern. Das bedeutet nicht zwangsläufig, sie zu entlassen: Auch der Einsatz von spezialisierten Interim Managern für die Kernbereiche kann da schon ausreichend sein. Aber das Unternehmen wird nach der erfolgreichen Restrukturierung nicht mehr dasselbe sein, daher ist bei der Auswahl der Führungsmannschaft auf die Herausforderungen der Zukunft zu achten und nicht auf die Leistung der Gegenwart. Das ist besonders schwer zu erkennen
– und dann auch danach zu handeln.
- Der Weg ist dort, wo die Angst ist: Wenn ich in meiner Karriere Restrukturierungen oder Sanierungen gemacht habe, dann soll man nicht glauben, dass mir das immer komplett leicht fällt. Es ist emotional durchaus herausfordernd den Menschen im Unternehmen zu erklären, dass nur eine oft massive Veränderung, die auch auf persönliche Befindlichkeiten stößt oder auch mit dem Verlust des Arbeitsplatzes einhergeht, notwendig ist. Aber als derjenige, der eine solche Aufgabe hat, heißt es „Flagge" zu zeigen. D.h. ich erkläre den Betriebsräten die Situation, ich binde meine Führungskräfte ein, ich stehe in der Gesellschafterversammlung vorne und bringe die Botschaft rüber, ich präsentiere die auf den ersten Blick schlechten Nachrichten auf der Betriebsversammlung und am schließlich: Ich gehe täglich durch mein Unternehmen und meine Standorte und stelle mich den
– manchmal auch
– aggressiven Fragen oder stehe denjenigen zu Verfügung, die auch Angst haben, Unsicherheit haben oder einfach nur mehr wissen wollen.
Dabei ist aber auch elementar, dass die Führungskräfte alle stets den gleichen Wissensstand haben und hinter dem Prozess stehen.
- Ohne Zukunft keine Gegenwart: Was hat Restrukturierung und Sanierung mit Strategie zu tun?
Alles!!!
Vielfach wird argumentiert, wir sanieren jetzt erstmal, Strategie und Kultur machen wir danach.
Damit ist der Prozess eigentlich schon gescheitert. Gerade in einer Krisensituation muss ich dem Unternehmen eine Zukunft aufzeigen, für die es sich lohnt, Entbehrungen auf sich zu nehmen. In unserem heutigen arbeitsrechtlichen Umfeld ist es nicht wirklich sehr schwer sich auszurechnen, ob man von einem Personalabbau betroffen ist oder nicht. Um aber als Unternehmen die Mitarbeitenden nicht zu verlieren, mit denen das Unternehmen für die Zukunft plant, brauchen diese ein realistisches und vor allem motivierendes Bild für die Zeit danach. Ansonsten verliert man mehr Menschen, als man verkraften kann. Und auch für die vom Abbau Betroffenen ist es leichter, die Tatsache des Arbeitsplatzverlustes zu verkraften, wenn sie sehen, dass es mit dieser Maßnahme eine Zukunft für das Unternehmen gibt und das Management offenbar nicht panikartig handelt. Frei nach dem Motto: „Man sieht sich immer mehrfach im Leben"
- Zeit ist ein Erfolgsfaktor: Oft ziehen sich Verhandlungen mit der Arbeitnehmervertretung unnötig in die Länge. Die Arbeitnehmerseite versucht erst, zu verhindern und Formfehler zu finden, seitens der Arbeitgeberseite wird um jedes Zehntel Prozent der Abfindung gefeilscht. Auch hier liegt die Lösung im Prozess der Kommunikation. Die Arbeitnehmervertretung sollte so früh wie möglich über die Situation informiert werden. Ich informiere das Gremium des Betriebsrates und/oder des Wirtschaftsausschusses (wenn vorhanden) so offen und transparent wie möglich. Teils auch zusammen mit dem Führungsgremium. Wenn der Personalabbau beschlossen ist, müssen alle Formalien genauestens beachtet werden (Beratung ist hier hilfreich), dann muss der Kommunikationsprozess im Detail geplant und umgesetzt werden. Ist die Beteiligung der Gewerkschaft durch den Betriebsrat geplant, informiere ich diese auch in größtmöglicher Offenheit (ohne natürlich Verhandlungspositionen aus der Hand zu geben). Bei den Verhandlungen zum Interessensausgleich und Sozialplan versuche ich möglichst schnell eine Lösung zu finden und eine Einigung im Rahmen eines Freiwilligenprogramms zu erreichen. Die Strategie, um jede Kleinigkeit zu verhandeln, ist oftmals sehr teuer. Ich rechne meinen Eigentümern immer gerne vor, wieviel es das Unternehmen kostet, einen Monat länger zu verhandeln oder auf das Angebot der Arbeitnehmerseite mit 1/10 oder 2/10 höherem Abfindungsfaktor einzugehen. Schnelligkeit im Ergebnis der Verhandlung spart Geld und verkürzt die Unsicherheit in der Belegschaft massiv und spart damit auch wieder Geld.
- (Zahlen-) Transparenz erzeugt Glaubwürdigkeit: Regelmäßig habe ich es erlebt, dass man, selbst in Zeiten mit massiver Finanzierungsnot, noch versucht, die Situation zu verschweigen
– ja, teils sogar schön zu rechen. „Ja, das wird schon!" Oft schießen die Gesellschafter Geld nach, um die Banken ruhig zu stellen oder gar die Insolvenz zu vermeiden. Das ist aber falsch. Mitarbeitende sind nicht dumm und haben ein feines Gespür dafür, ob etwas schiefläuft. Man soll nie vergessen, dass der überwiegende Teil der Kommunikation „nonverbal" ist. Wenn die Geschäftsführer
– oder schlimmer noch
– die Gesellschafter mit sorgenvoller Miene oder angespannt durch das Unternehmen laufen, dann weiß jeder, dass etwas nicht stimmt. Wenn dann noch gegenteilig argumentiert wird, dann verlieren die handelnden Personen jede Glaubwürdigkeit. Daher ist es elementar, dass regelmäßig über betriebswirtschaftliche und auch Finanzahlen berichtet wird und die Zusammenhänge auch erklärt werden. Idealerweis mit „Bildern", die die Adressatengruppe auch versteht.
- Reibung erzeugt Energie: Man könnte auch sagen, Streit um der Sache willen, bringt die besseren Lösungen. Oft habe ich erlebt, dass Menschen aus der oberen Leitung ihre Ideen dogmatisch verteidigen. Ich bin offen für die konstruktive Auseinandersetzung. Ich halte es mit Sokrates: Ich weiß, dass ich nichts weiß! Das ist zwar nicht immer richtig, aber es ist authentisch, wenn man bereit ist, seine Ideen mit anderen Meinungen zu reiben. Oft ergeben sich dann Lösungen, die beide Seiten nicht erwartet hätten: nämlich bessere Lösungen. Es bricht auch keinem Chef ein „Zacken aus der Krone", wenn er mal zugibt, dass er nicht recht hatte. Kommt übrigens gar nicht so selten vor. Der Trick ist nur, dass die überwiegenden Entscheidungen richtig sind (>51%) und dass man Fehlentscheidungen schnell erkennt und dann auch korrigiert.
Ergebnisse:
Trotz der schwierigen finanziellen Situation und den damit verbundenen Einschnitten auch im Personalstamm, konnte erreicht werden, dass die Mitarbeitenden sich informiert und auch fair behandelt fühlten. Der Prozess zum Personalabbau konnte durch ein attraktiv gestaltetes Freiwilligenprogramm zügig umgesetzt werden und war am Ende sogar günstiger als ursprünglich geplant. Da dann jeder wusste, ob er betroffen war oder nicht, haben sich die nicht betroffenen Mitarbeitenden wieder deutlich mehr auf das Kerngeschäft und die Verbesserungsmaßnahmen konzentriert. Insgesamt konnte eine sehr viel offenere Kultur zwischen Management und Mitarbeitenden geschaffen werden, die von Transparenz, konstruktive Konfliktkultur und Fairness geprägt ist.
Jan Beutnagel
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