Branche: Fahrzeugbau – Automotive (Kunststoff)
Linienfunktion: General Management (Geschäftsführer)
Thema: Verlagerung, Umzug, Rumänien
Umsatz: 40 Mio. Euro
Mitarbeiter: 170
Aufgabe:
Für das Unternehmen in Deutschland musste eine Produktionsstätte in Osteuropa aufgebaut werden. Der Kunde verlangte für die Produktion der Zulieferteile vor Vergabe der Folgegeneration, dass die Produktion in Osteuropa, möglichst in der Nähe seiner dortigen Produktionsstätte in Ungarn, durchgeführt werde. Es handelte sich dabei um Zulieferteile aus Aluminium, die mit einer im Dispensverfahren aufgetragenen Dichtung versehen wird. Die Gesamtverantwortung für die Qualität lag bei unserem Unternehmen. d.h. es war auch die Supplychain der Aluminiumteile zu berücksichtigen. Allerdings lag die Verantwortung für die Disposition und die Lieferung der Kaufteile und die Abholung der fertigen Teile beim Kunden. D.h. aus der Erfahrung konnte man ersehen, dass die Flexibilität der Produktion vor Ort sehr ausgeprägt sein muss.
Grundsätzlich sollte es aber keine Produktion im Sinne einer Kundenlösung analog einer Just in Time-Produktion sein, sondern es bestand auch die Aufgabe, für weitere Kunden in Osteuropa einen #Produktions- und Servicehub zu gründen. Das Umfeld soll auch die Möglichkeit bieten, Personal einzustellen, welches als Shared Center Dienstleistungen für die deutsche Zentrale erbringen kann. Das Projekt folgte der vorher ausgearbeiteten Strategie des Unternehmens und sollte ein langfristig angelegter Business Case sein.
Lösung:
Nach Ausarbeitung eines ersten Businessplanes durch das Managementteam unter meiner Leitung gaben die Gesellschafter des Unternehmens das Projekt frei.
Da Projekt gliederte sich in folgende Schritte, die jeweils als Meilensteine zur Entscheidung vorzulegen waren:
- Ermittlung eines Landes und/oder einer Region, die den konkreten Anforderungen des Kunden und der langfristigen Strategie des Unternehmens gerecht wird.
- Konkrete Suche und Befundung von möglichen Standorten (bestehende Gebäude oder Flächen).
- Erstellung eines Businessplanes mit konkreter Drei-Jahresplanung und insgesamt Fünf-Jahreshorizont, unter Berücksichtigung des weiteren Ausbaus der Produktion mit weiteren Kundenpotenzialen.
- Gründung der Regionalgesellschaft, Vorbereitungen zu den Verlagerungen von Produktionsmaschinen an den neuen Standort, Rekrutierung des Personals für die Administration und Produktion, Festlegung der Kundenforderungen für die Verlagerungsfreigabe.
- Start der Produktion
- Review nach 6 Monaten
Projekttimeline: Produktionsstart 18 Monate nach Projektfreigabe
Das Projekt wurde im Dezember durch die Gesellschafter mit dem erstellten Projektplan frei gegeben.
Für den Meilenstein 1 wurde insbesondere die SupplyChain vom Lieferanten bis zum Kunden analysiert. Die Herausforderung hier war, dass in der gesamten Lieferkette wiederverwendbare Behälter verwendet worden sind. Diese bestanden aus teilespezifischen Kunstoffblistern (Tiefziehformteile), Kleinladungsträger, die wiederum auf Kunststoffpalletten gestapelt wurden. D.h. das Volumen der Verpackung ist vom Lieferanten, über die eigene Produktion, bis zum Kunden und wieder zurück zum Lieferanten immer gleich. Damit entstehen nicht unerhebliche Transportkosten, die zu berücksichtigen sind. Im ersten Schritt wurden die Distanzen in der Supplychain analysiert. In erster Näherung für das konkrete Kundenprojekt, in der erweiterten Betrachtung die potenziell interessanten weiteren Bestandskunden und andere Marktteilnehmer. Immer in der Betrachtung von Lieferanten über eigene Produktion und Kunde.
Neben der Dispenstechnologie sollte auch im Betrachtungszeitraum Kunststoff-Spritzgiessen für Thermoplast- und Elastomerteile integriert werden. Es sind daher auch die Servicehubs der Maschinenlieferanten in die Betrachtung mit einzubeziehen.
In der weiteren Recherche müssen die politischen Rahmenbedingungen und die Attraktivität für die Mitarbeitenden berücksichtigt werden – und damit die Mitarbeiterverfügbarkeit für angelerntes Personal. Zudem sollte auch die Attraktivität der Region betrachtet werden. Dies führt zwar ggfs. zu erhöhten Personalkosten, doch sowohl die Personalrekrutierung für nationale Facharbeiter und Manager, als auch für mögliche Expats aus Deutschland, wird durch eine ansprechende Umgebung deutlich einfacher. Es wird erwartet – und dies zeigt auch die Praxis aus vielen anderen Projekten –, dass die Gesamtprozesskosten und damit die Profitabilität des Standortes sich positiver entwickeln wird.
Fazit Meilenstein 1: Aufgrund der o.g. Anforderungen wurde als Zielland Rumänien für eine eingehende Untersuchung beschlossen. Hierbei sind die Regionen im Westen bis zur Mitte und der Großraum westlich von Bukarest zu untersuchen. Diese Regionen zeichnen sich entweder durch gute logistische Anbindung, hohe Industriedichte oder gute Infrastruktur aus.
Die politischen Rahmenbedingungen für eine industrielle Ansiedlung entwickeln sich hinsichtlich der Korruption nach der damaligen Wahl des Präsidenten Johannis offenbar sehr positiv. Die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal ist besser als in anderen Ländern. Gleichzeitig ist das Lohnniveau im Vergleich zu Ungarn, Slowenien, Polen noch attraktiv.
Für den Meilenstein 2 wurden innerhalb von 3 Monaten mehr als 15 Standorte befundet. Es handelte sich um bestehende Gebäude in jedem Zustand und auch um erschlossene oder kurz vor der Erschließung stehenden Industrieflächen. Die Koordination der Besuche übernahm ein lokaler Vertreter der AHK in Timisoara. Parallel dazu wurden Gespräche mit diversen potenziellen Investoren für den Umbau oder Neubau der Fabrik geführt.
Fazit Meilenstein 2:
Für die Bewertung der möglichen Standorte wurde eine Entscheidungsmatrix verwendet. Diese enthielt alle Kriterien mit entsprechender Gewichtung.
Mit weitem Abstand wurde ein Objekt bei Brasov (Kronstadt in Siebenbürgen) ausgewählt. Es handelt sich hier um einen privaten Industriepark mit einem umfangreichen Gebäudebestand. Der Eigentümer war hoch interessiert eine deutsche Niederlassung im Park als Leuchtturmprojekt zu haben. Er war bereit, die Mittel für alle Gebäudeseitigen Renovierungen nach unseren Vorgaben selbst zu investieren, bei gleichzeitig kurzer Vertragsbindung von 5 Jahren zur Risikobegrenzung für uns. Neben den finanziellen Rahmen konnten umfangreichen Serviceleistungen im Industriepark ebenfalls angeboten werden (Rekrutierung, Bewachung, Gebäudemanagement, Werkzeugbau etc.). Gleichzeitig ist in der Region eine Ausbildung nach deutschem Vorbild einer Berufschule aufgebaut worden. Die Bevölkerung hat eine starke deutsche Affinität. Es gibt deutsche Schulen und die Sprache ist nicht unbekannt. Zudem hat die Region einen hohen Grad an Lebensqualität. Der Nachteil der logistischen Anbindung ist demgegenüber akzeptabel.
Meilenstein 3 sah im Drei-Jahres Businessplan einen Verlust in den ersten beiden Jahren von insgesamt 500T Euro bei 2 Mio. Euro Umsatz vor. Der Break-Even sollte am Ende des zweiten Jahres erreicht werden. Ab dem dritten Jahr wurde mit einer Rendite von 8-10% gerechnet. In den ersten drei Jahren wurden die Umsätze im Wesentlichen mit einem Bestandskunden durch Verlagerung aus Deutschland erwirtschaftet. Der Fünf-Jahresplan berücksichtigte bereits SharedServices für Deutschland und auch den Aufbau erster Vertriebskapazitäten mit Neuanläufen sowie weiteren Verlagerungen ab dem Jahr drei. Ver Vollausbau sollte im fünften Jahr erreicht werden. Mit dem Eigentümer des Industrieparks wurden auch Wachstumsoptionen in den Folgejahren besprochen und vertraglich optioniert.
Fazit Meilenstein 3:
Aufgrund des Businessplanes und der augenscheinlich äußerst positiven Rahmenbedingungen sowie der überschaubaren Risiken und der großen Marktchancen, die sowohl eine Realcase, wie auch Bestcase und Worstcase Betrachtung beinhalteten, wurde das Projekt zur Umsetzung freigeben.
Gemäß Meilenstein 4 wurde eine Gesellschaft nach rumänischem Recht gegründet. Unterstützt wurde diese Gründung wiederrum von der AHK und einem lokalen Anwalt.
Als erste Rekrutierung wurde ein lokaler Betriebsleiter gesucht. Die Suche erwies sich auch in den folgenden Jahren als Glückgriff. Es handelt sich hier um einen rumänischen ehemaligen Produktionsleiter, der die Chance ein Unternehmen von Grund auf aufzubauen und zu leiten, mit großem Engagement betrieb. Im Gegensatz zu vielen Bewerbern zeichnete er sich eher durch Bescheidenheit und Understatement aus. Leider findet man auf der Managementebene oft eher das Gegenteil. Gemeinsam mit mir als Geschäftsführer wurden die Fachspezialisten sowie erste Mitarbeiter für die Admin angestellt. Die produktiven Mitarbeitenden wurden durch das lokale Management angestellt.
Ein entscheidender Erfolgsfaktor war der sehr detaillierte Ausbildungsplan. Jeder Mitarbeitende, vom Betriebsleiter bis zum Arbeitnehmenden an der Maschine wurde zur übergreifenden Ausbildung an den deutschen Standort der Muttergesellschaft geschickt. Im ersten Step durchlief jeder und jede eine "Kennenlernrunde", um Kultur, Kollegen und Produktion kennenzulernen.
Parallel zu diesen Aktivitäten wurden die Verlagerungen der Maschinen und Anlagen geplant, die Kunden im Detail informiert und mit diesen die Freigabeprozesse und Vorlaufproduktionen diskutiert und vereinbart sowie die logistischen Rahmenbedingungen festgelegt (Verpackung, Mehrkosten, etc.). Nach Kenntnis der Kundenanforderungen wurden diese mit den Lieferanten diskutiert und vereinbart. Eine der Herausforderungen war, dass der Vorlauf in einer überhitzten Marktsituation durchzuführen war. D.h. die gesamte Supply Chain wir kapazitätsseitig höchst angespannt. Durch detaillierte Planung und Verbesserungen im Detail, was Lagerbestände, Lieferwege und Reaktionszeiten anging, konnten die Kapazitätsforderungen erfüllt werden.
Der Start der Verlagerung wurde definiert als Start der Vorlaufproduktion. Die Kunden erwarteten einen Vorlauf von 8 Wochen. Dieser wurde auch mit den rumänischen Mitarbeitenden durchgeführt. Dazu war jeder Techniker und Arbeitnehmender für mindestens 4 Wochen im Drei-Schicht-System in Deutschland und lernte dabei die Handhabung, die Spezifika der Produkte und nur selten auftretende Probleme im Detail kenne. Daher war die gesamte rumänische Mannschaft mit Produktionsstart sehr gut ausgebildet und hatte auch persönliche Kontakte aufgebaut, die im Zweifelsfall direkt zumindest telefonisch helfen konnten.
Parallel zu den technischen Vorbereitungen erfolgte der Umbau und Ausbau der Produktionshalle in Rumänien. Die gesamten baulichen Umfänge wurden durch eine eigene Baufirma des Industrieparks geleistet. Dies gewährleistete, dass die Maßnahmen deutlich nachhaltiger aufgeführt wurden, da hinter allem der Unternehmer und Eigentümer des Industrieparks stand, der sehr offen für unsere Vorschläge und Vorgaben war. Obwohl das Gebäude in einem sehr problematischen Zustand war, konnten alle Baumaßnahmen innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden. Die Abnahme erfolgte mit wenigen Auflagen vierzehn Monate nach Projektstart.
Da Bau und Vorbereitungen zur Verlagerung soweit wie möglich synchronisiert wurden, konnte die erste Maschinen und die zugehörigen Anlagen unmittelbar nach Baufreigabe installiert werden. Die eigentliche Stillstandszeit belief sich auf nur zehn Tage. In weiteren zwei Wochen wurde mit Ausschussteilen der Probebetrieb gestartet.
Die Freigabe durch den Kunden erfolgte nach dem Probebetrieb ohne Abweichungen. Die Lieferkette vom Lieferanten bis zum neuen Standort erwies sich als Herausforderung, da es sich um Mehrwegverpackung handelte. Der Kunde war aber nicht in der Lage die Supply Chain ausreichend zu bedienen, obwohl die Verlaufproduktion in einer Ausweichverpackung erfolgte. Es gab regelmäßige Reklamationen durch den Abnahmestandort wegen falscher Verpackung, obwohl diese Vorgehensweise vorher klar vereinbart wurde. Hier erwies sich aber die Kommunikation durch das rumänische Management als äußerst hilfreich. Nach mehreren Besuchen vorort konnte das Problem im Einvernehmen gelöst werden.
Fazit Meilenstein 4:
Mit Ausnahme der kundeneignen Abläufe und einiger weniger Schleifen mit der rumänischen Bürokratie bei der Bauabnahme wurden alle operativen Schritte nach Plan oder besser erledigt. Ein Hinweis sei erlaubt zur Bürokratie. Es lag nicht an entsprechenden finanziellen Zuwendungen (Korruption), sondern an der fehlenden Qualifikation der Mitarbeitenden in den Behörden bei der Auslegung der Richtlinien. Der Meilenstein 4 konnte somit erfolgreich abgeschlossen werden.
Der Start der Produktion gemäß Meilenstein 5 erfolgt nach fünfzehn Monaten, somit drei Monate vor geplantem Projektende. Die Produktivität der Mitarbeitenden war ab dem SOP (Start of Production) bereits bei 80% der Leistung der deutschen Mitarbeitenden. Die Ausschussquote befand sich auf gleichem Niveau. Reklamationen seitens des Kunden gab es keine.
Der Produktionsstart wurde für drei Wochen von erfahrenen Mitarbeitern aus Deutschland unterstützt. Dies war eine sehr positive Überraschung, da genau diese im Vorfeld nur mit größten Bedenken auf Reisen gingen. Die intensive Zusammenarbeit über mehrere Wochen führten aber auch zu regelrechten Freundschaften. Daher war die ablehnende Zurückhaltung für die Vorort Unterstützung kein Thema mehr.
Fazit Meilenstein 5:
Erfolgreicher SOP!
Nach sechs Monaten wurde mit Meilenstein 6 das Projekt erfolgreich beendet.
Ergebnis:
Die Gründung, Aufbau und Start des Produktionsstandortes in Rumänien kann als erfolgreich bezeichnet werden.
Alle Meilensteine wurden erfüllt oder sogar übererfüllt.
- Durch vertragliche Gestaltung mit dem Industrieparkeigner konnte das Risiko im Falle eines Scheiterns deutlich begrenzt werden. Gleichzeitig konnten #Remanenzkosten für den Anlauf und die Betreuung im Adminbereich durch die Dienstleistungen des Industrieparks aufwandsproportional gestaltet werden.
- Der Terminplan wurde um 3 Monate unterschritten
- Die Produktivität gegenüber Deutschland lag nach 6 Monaten bei 120%
- Der Ausschuss wurde halbiert
- Es gab in den ersten 2 Jahren keine Kundenreklamationen, die gerechtfertigt waren. Auch in den Folgejahren handelte es sich nur um einzelne wenige Vorfälle. Dies auch bei weiteren Neuprojekten/Verlagerungen.
- Die Kommunikation mit dem ungarischen Kundenstandort und dem slowenischen Lieferanten wurde durch das lokale Management erheblich verbessert.
- Die Zusammenarbeit der deutschen und rumänischen Mitarbeitenden kann in vielen Fällen als freundschaftlich bezeichnet werden
- Das rumänische Management hat erreicht, dass die Fluktuation aufgrund Eigenkündigung bei unter 1%/a liegt.
- Aufgrund der hohen Produktivität und eines ungeplanten hohen Absatzes konnten sämtliche Anlaufkosten mit Abschluss des zweiten Geschäftsjahres komplett erlöst werden. Damit wurde der Break-Even und auch die Renditeziele deutlich übertroffen.
Jan Beutnagel
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