By Ulf Camehn on Samstag, 03. Oktober 2020
Category: INTERIM MANAGER

Automobilhandel: Stark durch Fusion – gegen Direktvertrieb und Intrabrand

Der Automobilhandel steht vor den größten Herausforderungen seit seinem Bestehen. Die „Franchisegeber", also die Hersteller, machen es ihren „Partnern" auch nicht gerade leicht. Die Forcierung des Direktvertriebs ist aus Herstellersicht durchaus nachvollziehbar. Um die Marge zwischen Produzent und Abnehmer selbst zu kassieren, bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder der Hersteller verkauft die Produkte direkt online über seine eigenen Plattformen oder er betreibt die Autohäuser selbst. Die Volkwagen-Retail (VGRD) zum Beispiel macht es mit ihrer Wachstumsstrategie in Metropolregionen vor.

Parallel müssen die Händler je nach Marke unterschiedlich hohe Standards erfüllen: CI-gerechte Architektur, Innenraum-Gestaltung, Anzahl der vorzuhaltenden Lager- und Vorführfahrzeuge, zusätzlich vorzuhaltendes Personal wie „Produktexperten" oder „Gastgeber", Investitionen in die E-Mobilität, die Digitalisierung u. v. m. drücken dabei auf die eigene Marge. Der Druck kommt also von zwei Seiten: Weniger eigene Auslieferungen, demzufolge weniger Umsatz und steigende Kosten.

Doch diese Situation ist nicht neu. Seit 1995 habe ich mit dem Automobilhandel zu tun und seit dieser Zeit verging kein Jahr, in dem die Händler nicht über ihren Hersteller geschimpft hätten. Aber dieses Mal ist es anders. Die Zukunft ist zweifelsfrei digital. Die Entwicklung ist so rasant, dass es den Herstellern jetzt wirklich gelingen wird, in die Schnittstelle zum Kunden zu gelangen. Ich glaube aber schon, dass der Automobilhandel auch in Zukunft eine tragende Rolle spielen wird – auch für die Herstelle. Was wäre der VW-Konzern während des Abgasskandals ohne seine Händler gewesen? Alle Autos zum Umrüsten nach Wolfsburg bringen? Alle Fahrzeuge, die zurückgegeben werden sollten, nach Braunschweig zur Volkswagen Financial Services bringen? Wohl nicht. Ich hoffe sehr, dass sich diesbezüglich insbesondere der VW-Konzern, an die Mammutleistung seiner Handelsorganisation erinnert.

Handelsnetz wir kleiner

Das Handelsnetz wird sich in den nächsten Jahren weiter ausdünnen. Viele Händler werden die Standards nicht mehr erfüllen können (in sehr ländlichen Gebieten wird die Standortversorgung für die E-Mobilität teilweise nicht umsetzbar sein) oder haben keine Nachfolgeregelung. Diese beiden Punkte kommen den verbleibenden Händlern zugute, reichen aber für eine langfristige und vor allem auskömmliche Ergebnissituation nicht aus. Schon gar nicht vor dem Hintergrund der zu tätigenden Investitionen.

Als wäre nichts gewesen

Nach Rücksprache mit einem mir sehr bekannten Unternehmens- und Sanierungsberater machen bis dato gut 70% der Betriebe bzw. Handelsgruppen weiter wie bisher. Selbst die Corona-Krise hat viele Unternehmen scheinbar nicht ins Handeln kommen lassen. Dies ist erschreckend, zumal spätestens Ende 2021 das Instrument der Kurzarbeit sein Ende finden wird und bereits seit 01.10.2020 die Insolvenzantragspflicht für zahlungsunfähige Unternehmen nach § 17 InsO wieder aufgelebt ist! Das Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVInsAG) ist im März 2020 in Kraft getreten. Die Aussetzung sollte für die Unternehmen greifen, die nach dem 1. März 2020 aufgrund der Folgen der Corona-Pandemie in Schwierigkeiten gerieten aber bei denen die Aussicht bestand, die bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Auch Haftungsrisiken für Organe und Anfechtungsrisiken für Gläubiger sollten durch das in kurzer Zeit auf den Weg gebrachte Gesetz gemindert werden. Das Gesetz war dabei als „Moratorium" gedacht, in dem die Unternehmen ihre Restrukturierungs- bzw. Sanierungsbemühungen mit Nachdruck forcieren sollten. Scheinbar ist die Botschaft bei vielen nicht angekommen.

Starke Händler könnten profitieren

Aber auch diese Tatsache könnte den verbleibenden Händlern wiederum in die Hände spielen, wenn sie es richtig anstellen. So könnte sich die verbleibende Nachfrage zu einem Großteil auf die übrig gebliebenen Händler bzw. Handelsgruppen verteilen.

Zusammenfassend wird es aus 4 Gründen weniger Händler geben:

1. Keine Nachfolge
2. Zu klein und schon heute wirtschaftlich zu schwach, um die Investitionen in Digitalisierung und E-Mobilität zu stemmen
3. Zu ländlich, so dass die Infrastrukturaufwendungen für die E-Mobilität von Seiten der Versorger auch langfristig nicht umgesetzt werden können
4. Pleitewelle, beschleunigt durch Corona und nicht gemachten Hausaufgaben in guten Zeiten

Stellungsspiel ist keine Option

Darauf sollte man sich aber nicht verlassen. Keiner weiß, ob es so kommt bzw. ob die Nachfrage tatsächlich in der Organisation bleibt, sukzessive zum Hersteller wandert oder andere Verkehrsmittel mehr Nachfrage erfahren. Man weiß auch nicht, ob Kunden von den entfallenen Marktteilnehmern derart auskömmliche Deckungsbeiträge beisteuern, die helfen, diesen enormen Prozess des Wandels finanzieren zu können.

Freiheit vs. Zukunftsfähigkeit

Vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen sind meines Erachtens gut beraten, insbesondere nach regionalen und relativ gleich starken Fusionspartnern Ausschau zu halten. Der Intrabrand belastet die Marge und auf der Kostenseite wird vieles doppelt vorgehalten. Da es sich bei den Automobilhändlern fast ausschließlich um mittelständische Familienunternehmen handelt, könnte die größte Hürde das eigene Ego sein. Sich eingestehen, dass Interbrand nicht länger zielführend ist. Dass die Herausforderungen so groß sind, dass man sie nicht mehr alleine stemmen kann oder möchte. Und, dass es natürlich mit einem Machtverlust einhergeht. Was man heute alleine bestimmt, muss man morgen abstimmen. Es ist die Wahl zwischen Freiheit und Zukunftsfähigkeit. Ein mir sehr gut bekanntes Unternehmen, das heute ausgezeichnet dasteht, entstand Ende der 90er Jahre aus drei verschiedenen Unternehmen. Genau aus dem beschriebenen Grund: Man hat sich im gleichen Markt gegenseitig das Geschäft kaputt gemacht. Die Anteilsverhältnisse der Gesellschafterfamilien sind in den neuen Gesellschaften nicht überall ausgeglichen. Dennoch hat man im Gesellschaftsvertrag eine Stimmparität vereinbart. Das ist eine klasse Lösung, die Anteilsverhältnisse nur auf die Gewinnverteilung zu beziehen. Beide Seiten können sogar die gleiche Anzahl an Geschäftsführern bestellen. Schon damals sehr weitsichtig, Hut ab! Also einfach mal den Gedanken mitnehmen, auf den anderen Handelspartner zugehen, die Diskussion anregen und miteinander sprechen.

Enorme Potentiale - Konsequenz als Schlüssel zum Erfolg

Fusionen, insbesondere mit regionalen Handelspartnern, bieten enorme Potentiale. Sowohl auf der Kosten- als auch auf der Umsatz- und Ertragsseite. Das Zauberwort heißt Konsequenz. Wer ist es richtig anstellt, hebt die entsprechenden Zentralisierungs- und Verdichtungseffekte. Man braucht dann keine zwei CFO, keine zwei Personalleiter, nicht zwei IT-Leiter und auch nur noch einen Finanzleiter. Entsprechend auch weniger Assistenzstellen. Die Aufzählung lässt sich beliebig fortsetzen. In den operativen Verantwortungsfeldern verhält es sich genauso. Je nach regionalen Entfernungen, können – um beim Beispiel Automobilhandel zu bleiben – Aufgaben- und Verantwortungsbereiche zusammengelegt werden: Man braucht nur einen Verkaufsleiter PKW für die Marke X, nicht zwei. Nur einen Bereichsleiter After-Sales, nicht zwei. Einen Gruppenverantwortlichen für das Gebrauchtwagengeschäft, nicht zwei. Auch diese Aufzählung ließe sich fortsetzen.

Auf der Umsatz- und Ertragsseite verhält es sich ähnlich. Wenn die Kunden heute mit dem eigenen Angebot zum direkten Wettbewerber gehen, betreten sie dann eine weitere Filiale. Natürlich werden sich auch Kunden um ein alternatives Angebot bemühen, dennoch spielt die Entfernung und Topografie auch heute noch eine Rolle. Der Aufwand analog woanders zu kaufen wird größer. Und ich behaupte, dass Kunden ihr Fahrzeug lieber dort in die Werkstatt bringen wo sie es auch gekauft haben. Auch bei Verrechnungssätzen im Service ließen sich Potentiale heben. Der Orientierung am Wettbewerber könnte der Orientierung am betriebswirtschaftlich Notwendigen weichen. Weiter ginge es mit der Vereinheitlichung von Nachlassregelungen u. v. m. Alles natürlich im Rahmen des Möglichen ohne sich aus dem Markt zu rechnen.

Aus zwei mach eins auch bei den Sachkosten. Es gibt nur noch einen Internetauftritt, die Printanzeigen halbieren sich und viele andere Marketingaktivitäten können zusammengelegt und reduziert werden. Und über fast alle Aufwandspositionen lassen sich aufgrund des größeren Volumens bessere Preise aushandeln und die Anzahl der Dienstleister kann merklich reduziert werden.

Die Organisation nicht überfordern

Fusionen und Post Merger-Integrationen sind kein Sprint, sondern ein Marathon, den es detailliert vorzubereiten gilt. Dabei geht es auch darum, die Organisation nicht zu überfordern und die Umsetzung in verdauliche Meilensteine zu zerlegen. Die aktuelle Wirtschaftskrise verunsichert Führungskräfte und Belegschaft. Eine Fusion zweier Unternehmen verursacht zusätzliche Ängste und verlangt professionelle interne Kommunikation. Nicht selten verlassen in solchen Phasen gute Mitarbeiter ohne Grund das Unternehmen, aus Angst am Ende nicht mehr Teil der Lösung zu sein. Führungskräfte und Mitarbeiter müssen also abgeholt und mitgenommen werden.

Interim Manager: Die Experten für die Umsetzung

Der wesentliche Unterschied zwischen Unternehmensberatungen und Interim Managern liegt in der Umsetzung und Mitarbeit im Unternehmen. Interim Manager werden für einen festen Zeitraum integraler Bestandteil der Belegschaft. Unternehmen arbeiten immer stärker Projekt-bezogen. Dafür benötigen sie immer häufiger frische und passgenaue Expertise von außen - aber meist nur für einen bestimmten Zeitraum. Der Einsatz von spezialisierten und branchenerfahrenen Interim Managern ist dabei das Mittel der Wahl: Consulting und Umsetzung in einem!

Dabei können Interim Manager auf den Empfehlungen von Beratern aufsetzen oder auf ihrer eigenen Bestandsaufnahme. Die daraus resultierenden Handlungsempfehlungen sind dann eng mit dem Auftraggeber abzustimmen und in eine Zielstruktur zu überführen. Diese Zielstruktur umfasst nicht nur die zukünftige Ausgestaltung der zentralisierten Back-Office-Funktionen (Anmerkung: Nicht alles muss an einem Standort zentralisiert werden, Best-Practice-Lösungen können durchaus eine Rolle spielen) und der zukünftigen Managementstruktur. Sie umfasst auch eine harmonisierte IT-Infrastruktur und eine reduzierte Dienstleister- und Lieferantenauswahl. Die Harmonisierung von Entlohnungsmodellen, arbeitsvertraglichen Regelungen und Betriebsvereinbarungen ist dabei vielleicht die Königsdisziplin. Es ist das Themenfeld, welches mit der meisten Sensibilität bei gleichzeitiger Ergebnisorientierung anzugehen ist. Die Aufzählung ist sicherlich nicht abschließend, verdeutlicht aber die Größe der Aufgabe, aus zwei gewachsenen Unternehmen eine neues und am Ende stärker aufgestelltes Unternehmen zu machen.

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Unternehmen mussten sich schon immer auf neue Situationen einstellen. Corona kam als Brandbeschleuniger, der uns alle betrifft: Unternehmen, Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und die Wettbewerber. Niemand kann so weitermachen wie bisher. Ist nicht genau jetzt die Zeit für neues Denken angebrochen?

Ulf Camehn
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